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  • Stellungnahme von Fachvertreterinnen und -vertretern der Islamwissenschaft

    Stellungnahme von Fachvertreterinnen und -vertretern der Islamwissenschaft

    Stellungnahme von Fachvertreterinnen und -vertretern der Islamwissenschaft und benachbarter akademischer Disziplinen zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrats vom Januar 2010

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,
    viele von Ihnen werden in den vergangenen Monaten die Diskussionen über die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Einführung eines Faches „Islamische Studien“ an deutschen Universitäten verfolgt haben. Die Langversion der WR-Empfehlungen ist hier zugänglich:

    ein von Patrick Franke verfaßtes ausführliches Positionspapier finden Sie hier:

    Beim Orientalistentag in Marburg wurden im Rahmen einer Podiumsdiskussion verschiedene Kritikpunkte an diesen Empfehlungen aus Sicht der Islamwissenschaft artikuliert. Die im Zuge dessen angekündigte Stellungnahme von Fachvertretern und -vertreterinnen liegt nunmehr in einer überarbeiteten Form vor. Wir möchten Sie bitten, uns möglichst schnell (nicht später als bis zum 15. Oktober) Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge zukommen zu lassen. Diese werden wir, so weit wie möglich, einarbeiten, um dann in einem zweiten Durchlauf die Namen all derer einzusammeln, die bereit sind, den Aufruf öffentlich zu unterstützen. Die endgültige Version mitsamt Namensliste soll dann an politische Entscheidungsgremien (sprich: die zuständigen Kultusministerien), Universitätsleitungen sowie als Presseerklärung (möglichst im Namen der DAVO und der DMG) verschickt werden. Bitte beachten Sie, daß der Text unbedingt auf eine Seite beschränkt bleiben soll, weil im Zweifelsfalle kein Politiker mehr als eben diese eine Seite lesen wird.
    Wir hoffen auf möglichst zahlreiche Anregungen.
    Mit besten Grüßen

    PD Dr. Rainer Brunner
    Prof. Dr. Heidrun Eichner
    Prof. Dr. Patrick Franke Prof. Dr. Ulrike Freitag
    Prof. Dr. Stefan Reichmuth

    Stellungnahme von Fachvertreterinnen und -vertretern der Islamwissenschaft und benachbarter akademischer Disziplinen zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrats vom Januar 2010

    Am 29. Januar 2010 veröffentlichte der Wissenschaftsrat (WR) seine „Empfehlungen zur Weiter-entwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“. Darin wurde unter anderem die Einrichtung eines bekenntnisorientierten Faches namens „Islamische Studien“ an mehreren deutschen Universitäten gefordert, um künftig unter staatlicher Aufsicht die Ausbildung von zukünftigen Lehrern für Islamischen Religionsunterricht, aber auch von Ima-men und Sozialarbeitern zu gewährleisten.
    Mit Blick auf die andauernde Integrationsdebatte mag ein solcher Schritt prinzipiell bedenkenswert und sinnvoll sein. Aus der Perspektive derjenigen akademischen Fächer, die sich bislang der wis-senschaftlichen Erforschung des Islams als Religion und Kultur gewidmet haben, insbesondere der Islamwissenschaft, können mehrere zentrale Punkte dieser Empfehlungen jedoch nicht widerspruchslos hingenommen werden.
    1. Die Benennung des neuen Faches als „Islamische Studien“ ist in hohem Maße irreführend, denn dadurch verschwimmen in bedenklicher Weise die Grenzen zur Islamwissenschaft in ihrer heutigen Form. Das vom WR geforderte Fach ist bekenntnisgebunden und muss als das benannt werden, was es dem Inhalt nach ist: Islamische Theologie. So wird es auch in den Empfehlungen der 1. Islam-konferenz (25. Juni 2009) bezeichnet, offenkundig mit Zustimmung der muslimischen Vertreter. Die Argumente, die der WR gegen eine derartige Namensgebung anführt, sind nicht stichhaltig. Die Islamwissenschaft ist dagegen ein bekenntnisneutrales Fach, dessen Erkenntnisinteresse sich über den Islam als theologisches Normensystem hinaus in thematisch breiter Ausdifferenzierung auf die Geschichte und Kultur muslimischer Gesellschaften in Vergangenheit und Gegenwart erstreckt. Die Einführung einer islamischen Theologie darf nicht zu Lasten der Islamwissenschaft gehen und die grundsätzlichen Unterschiede zwischen beiden Fächern verwischen.
    2. Als bekenntnisgebundene Theologie muss das Fach in einem entsprechenden institutionellen Kontext verankert werden. Das kann an einer religionspluralen allgemeinen Theologischen Fakultät geschehen oder an einer eigens einzurichtenden Fakultät für Islamische Theologie, ersatzweise auch an Zentren, die direkt der jeweiligen Universitätsleitung unterstellt sind. Die vom WR geforderte Ansiedlung an Philosophischen oder Kulturwissenschaftlichen Fakultäten stellt dagegen einen Ein-griff in deren wissenschaftliches Selbstverständnis dar und erscheint uns auch deshalb abwegig, weil die für das Fach neu zu schaffende Promotion eine theologische sein muss.
    3. Zusammensetzung, Rolle und Kompetenzen der vom WR vorgeschlagenen muslimischen Beiräte müssen weitaus genauer definiert werden, als das bislang der Fall ist. Das gilt vor allem in Anbetracht des Fehlens historisch gewachsener staatskirchenrechtlicher Vereinbarungen zwischen der Religionsgemeinschaft und dem Staat. Die weitreichenden Mitspracherechte bei der Stellenbesetzung, die den Beiräten zugestanden werden (faktisch denen der christlichen Kirchen entsprechend), stellen grundsätzlich einen Eingriff in die Autonomie der Universität dar. In der vorliegenden unklaren Form ist dies völlig inakzeptabel. Der Fall Kalisch in Münster sollte allen eindringlich vor Augen geführt haben, was bei einer derart ungeregelten Vorgehensweise passieren kann. Überdies erscheint die auch vom WR für die Beiräte geforderte islamisch-theologische Kompetenz bisher in keiner Weise gewährleistet.
    4. Nicht zuletzt fordern wir eine größere Transparenz sowohl im Hinblick auf die Empfehlungen des WR selbst als auch auf deren Umsetzung durch Politik und Universitätsleitungen. Wer entscheidet aufgrund welcher Kriterien, welche Standorte schließlich ausgewählt werden? Der Wettlauf, den sich mehrere Universitäten derzeit um die vom Bund in Aussicht gestellten Mittel liefern, muß nach klar nachvollziehbaren Regeln entschieden werden. Die akademische – nicht minder aber auch die steuerzahlende – Öffentlichkeit darf bei einem Verfahren mit derart weitreichenden Konsequenzen nicht einfach übergangen werden.