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    Islamunterricht

    Mouhanad Khorchid
    Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchid vor der Universität in Münster. Die Hochschule gab die offizielle Berufung Khorchides auf den Lehrstuhl für islamische Religionspädagogik bekannt. (Bild: dpa)

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    Der Islamlehrer von Münster

    Erstellt 23.07.10, 11:56h
    Mouhanad Khorchide wird den Islam in Deutschland nachhaltig prägen. Fortan macht er aus jungen Muslimen Lehrer für den Islamunterricht. Welche Ansichten trägt der Professor aus dem Libanon in deutsche Schulen hinein?

    MÜNSTER – „Sind Muslime, die Alkohol trinken, liberal? Oder bin ich konservativ, nur weil ich in die Moschee gehe und bete?“ Mouhanad Khorchide hält nichts von einfachen Etiketten. Der 38-jährige Professor stellt seinen Studenten lieber provokante Fragen und bereitet sie so auf ihren Beruf vor: Religionslehrer für den Islamunterricht an deutschen Schulen. Einen offenen Glauben will er ihnen vermitteln. Einen Islam, der beides erlaubt: „Muslim und modern zugleich.“

    Das ist keine leichte Aufgabe. Khorchides Vorgänger ist an ihr gescheitert. Muhammad Sven Kalisch, ein Konvertit, war vor sechs Jahren Deutschlands erster Professor für die Ausbildung islamischer Religionslehrer an der Universität Münster. Doch dann zweifelte er öffentlich die Existenz des Propheten Mohammed an und stellte den Koran als Wort Gottes infrage. Schon bald erhielt er Morddrohungen. Kameras bewachten nun sein Büro. Muslimische Verbände riefen zum Boykott auf. Die Uni behielt Kalisch, zog ihn aber von der Lehrerausbildung zurück. Vor kurzem verkündete Kalisch dann, er fühle sich nicht mehr als Muslim. Seinen Beinamen Muhammad legte er ab.

    ein neuer Mann an der Integrations-Front

    Khorchide soll die Wogen glätten. Er übernimmt den Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik in Münster. Der neue Mann an der Integrationsfront? Sein Job gleicht einem Balanceakt – zwischen Uni, Politik und muslimischen Verbänden. Sie waren das letzte Puzzlestück im wochenlangen Hin und Her um seine Berufung. Khorchide aber versteht ihr Zögern: „Die Verbände kennen mich nicht.“ Sie wollten nicht wieder ihr Vertrauen in eine Person setzen „und dann stellt diese etwas von den Glaubensgrundsätzen der Religion infrage.“ Über die Thesen seines Vorgängers sagt er: „Das hat keinen Sinn.“ Der Islam wäre demnach nur ein „menschliches Konstrukt“.

    „Meine Eltern sind Palästinenser, aber ich bin im Libanon geboren und in Saudi Arabien aufgewachsen.“ So stellt Khorchide sich in seinem kleinen Arbeitszimmer vor, in dem sich zahllose Bücher über den Islam stapeln. Noch habe er nicht alle ausgepackt, erzählt er. Weil Khorchide als Ausländer in Saudi Arabien nicht studieren durfte, schickten ihn seine Eltern mit 18 Jahren nach Wien. Arzt sollte er werden. Doch er wählte die Soziologie. Irgendwann zog es ihn dann wieder in den Orient. In Beirut lernte er islamische Theologie. Zurück in Wien predigte Khorchide fortan auch als Imam auf Deutsch.

    ein Miteinander von Muslimen und Christen

    Saudi Arabien – das war der Ort, wo er als Kind die Strenge des Islams kennenlernte, ihre Einfältigkeit, ihren Zwang. Doch mittags, nach Schuleende, lebte er in einer anderen Welt: „Zu Hause war das Leben schön.“ Seine Eltern beschreibt Khorchide als religiös. Aber fern aller Dogmen. „Sie sind im Libanon aufgewachsen, in einer Gesellschaft, in der Muslime und Christen miteinander leben. Meine Eltern sind diese Pluralität gewöhnt und das hat sich in dem widergespiegelt, was sie uns Kindern beigebracht haben“, erzählt der 38-Jährige. Sein Vater sei auf eine christliche Schule gegangen und ein Onkel habe eine Christin zur Frau genommen, erinnert er sich.

    „Ich bin aufgewachsen in dieser Spannung. Zwischen der pluralen Sicht des Islams zu Hause und der verschlossenen Gesellschaft Saudi Arabiens.“ Von Kindesalter an habe er deshalb Fragen gestellt: „Worum geht es in Religion? Um Abgrenzung, um Gesetze, um Gottesdienste?“

    Khorchides wichtigste Erkenntnis auf diesem Weg: „Man muss sehr kritisch reflektieren. Vor allem über das, was einem erzählt wird, was Religion zu sein hat.“ Seinen Studenten trichtert er die Frage ein: „Ist das wirklich so? Oder steht es doch anders im Koran?“ Zum Beispiel wenn es um die Rolle der Frau geht. Sagt die Religion, dass die Frau zu Hause sitzen und nicht arbeiten soll? „Nein“, findet er.

    die Familie als entscheidender Faktor

    Was seine Eltern ihm vorgelebt haben, prägt ihn noch heute. „Für uns war meine Mutter immer ein Vorbild. Sie war aktiv, hat studiert und auch finanziell unser Leben mitgetragen.“ In Riad, wo Khorchide mit seinen zwei Geschwistern aufwuchs, leitet die Mutter bis heute eine Schule. Selbstverständlich sei dieses Frauenbild aber nicht. Er gibt zu: Offene Geschlechterrollen in Europa seien für den Islam eine Herausforderung. „In der muslimischen Welt ist das geklärt.“ Dort gebe es starre Traditionen, Hierarchien und Aufgabenteilungen.

    Khorchide beschwört einen „pluralen Islam“, der Platz lässt für viele Interpretationen. Er führt diesen Gedanken mit einer sanften Kritik an Deutschland zu Ende: „Ich finde es schade, dass man in dieser pluralen Gesellschaft keinen Raum hat für religiöse Symbole wie Kopftuch, Kreuz oder Kippa. Ich fände es schön, wenn diese Symbole nicht als Widerspruch zur Säkularität gedeutet würden.“

    Der Professor bastelt keine „extra Variante“ des Islams: „Ich lehre keine spezifisch europäische Theologie, sondern baue auf aufgeklärte und humanistische Gedanken aus der islamischen Tradition auf, die inzwischen untergegangen sind“, erklärt er. Jungen Muslimen will Khorchide einen Glauben anbieten, die sie vor der Identitätskrise – entweder Muslim oder Europäer – bewahrt.

    der Koran ist kein Gesetzbuch

    Religion und Politik grenzt er klar voneinander ab: „Es ist nicht Aufgabe der Religion, uns vorzuschreiben, nach welchem politischen System wir leben sollen.“ Diese Dinge handeln Menschen aus. „Dass der Islam Gesetze vorschlägt, quasi als Alternative zum Kapitalismus oder zur Demokratie, das sehe ich nicht ein“, sagt Khorchide und blickt in sein Bücherregal, wo das Grundgesetz seinen Platz hat. Der Koran sei ein spirituelles und ethisches Buch, aber kein „juristisches Schema“.

    Khorchide unterrichtet 35 Studenten. Die meisten kommen aus Migrantenfamilien. „Ihre Kenntnisse sind manchmal sehr traditionell“, erzählt er. „Sie kennen den Islam nur von ihren Eltern oder aus der Moschee. Daher sind sie froh über unsere Diskussionen.“ Auf ihrem Lehrplan stehen auch Seminare über Integration. Außerdem besuchen die Studenten Einführungskurse in das Christen- und Judentum. Drei Unis in Deutschland bieten Islampädagogik an. Ziel ist es, bundesweit bis zu 2500 Lehrer auszubilden. „Das ist alles Pionierarbeit.“

    Wozu braucht es Religion in einer modernen Gesellschaft? Khorchide sagt: „Religionen machen ein Angebot. Sie zeichnen den Weg, um ein guter Mensch zu sein. Der Islam macht ein Angebot, andere Religionen machen andere Angebote.“ Dass er der Richtige für den Posten ist, behauptet er nur ungern. Aus Angst überheblich zu sein. Khorchide ist aber überzeugt, dass er ein gutes Angebot hat: „Muslim und modern.“ (dpa)
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