Von Anna Reimann
Sie vermitteln bei kulturellen Konflikten, helfen bei Behördengängen, schlichten beim Ehestreit: Muslimische Geistliche sind Alltagsmanager und Seelsorger zugleich. Die Universität Osnabrück bietet nun die ersten Fortbildungsseminare für Imame an. Der Andrang auf die Studienplätze ist groß.
Berlin – „Der Islam ist Teil Deutschlands“, sagte 2006 der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU).
„Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“, sagte Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede zu den Feiern zur Deutschen Einheit vor vier Tagen. Plötzlich ist die Empörung riesig.
Unionspolitiker warnen davor, den Islam mit Christen- und Judentum gleichzusetzen. Doch parallel zur aufgeregten politischen Debatte werden in Deutschland erste Fakten geschaffen, die den demokratischen Islam in Deutschland verankern sollen: Erstmals in der Geschichte werden von Beginn nächster Woche an Imame an einer deutschen Universität weitergebildet. Um das Projekt wurde politisch lange gerungen. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kämpfte seit Jahren für das Vorhaben in seinem Bundesland.
Das Signal, das jetzt von Osnabrück ausgeht, könnte wichtiger kaum sein: Der deutsche Staat schafft sich einen Ansprechpartner im Dialog mit dem Islam, Imame werden über staatliche Einrichtungen weitergebildet.
Und das Projekt ist dringend notwendig: Tatsächlich sprechen viele der fast 2000 Imame, die hierzulande predigen, kaum Deutsch. Sie bleiben nur wenige Jahre im Land, kehren dann in ihre Heimat, etwa in die Türkei zurück. Sie selbst sind nicht integriert – und sie verhindern als religiöse und gesellschaftliche Autoritäten damit die Integration ihrer Gemeindemitglieder.
„Wir müssen kompetente muslimische Gesprächspartner schaffen“
Das Pilotprojekt in Osnabrück ist ein Rezept genau gegen diese Probleme – und der Run auf das Weiterbildungsprogramm ist groß.
Fast hundert Imame und religiöse Betreuer – also etwa ehrenamtliche Gemeindehelfer, die in Moscheegemeinden in Deutschland arbeiten – hatten Interesse an der Ausbildung. Die Universität hat für die einjährige Weiterbildung aber nur 30 Plätze. Unter den studierenden Imamen und Seelsorgern sind jetzt Männer und Frauen aus Bosnien, aus arabischen Ländern, aus der Türkei.
In Blockseminaren werden sie vom 11. Oktober an unterrichtet in Religionspädagogik, Gemeindepädagogik, und darin geschult, wie sie religiöse Inhalte alltagstauglich mit den Lebenswelten von muslimischen Kindern und Jugendlichen in Verbindung bringen. Wie können sie vermitteln, wenn Eltern ihre Kinder nicht mit auf Klassenfahrten lassen wollen? Wie beraten sie Muslime, deren Partner einer anderen Religion angehört? „Es geht auch um den Respekt für andere Religionen, darum, dass Prediger etwa klarmachen, dass auch Christen und Juden gläubig sind“, sagt Rauf Ceylan, Professor für islamische Religionspädagogik in Osnabrück.
Es wird fachliche Seminare über die anderen Weltreligionen geben – damit die ehrenamtlichen Gemeindehelfer dialogfähig mit anderen Glaubensgemeinschaften sind. „Wir müssen kompetente muslimische Gesprächspartner schaffen“, so Professor Ceylan.
Außerdem gehe es bei der universitären Weiterbildung auch um detaillierte Kenntnisse des deutschen Rechtsstaates und um die europäische Aufklärung, erklärt Ceylan. Mit den Wissenschaftlern gehen die Imame auf Exkursionen: Auf dem Programm steht der Besuch einer KZ-Gedenkstätte, eine Visite im Bundestag in Berlin. „Natürlich erreichen wir damit nur die ohnehin demokratisch eingestellten Imame in Deutschland – aber auch von denen haben viele kein Handwerkszeug, wie sie religiöse Inhalte zeitgemäß vermitteln, wie sie mit Konflikten der multikulturellen Gesellschaft umgehen“, so Ceylan.
Professor Ceylan: „Wir brauchen einen fundierten Disput“
Für Niedersachsens türkischstämmige Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) ist ein Imam nicht nur traditioneller Vorbeter. „Er wird gerufen, um Eheprobleme zu schlichten oder um bei Behördengängen zu helfen. Oft ist er auch für Erziehungsfragen zuständig“, sagte Özkan SPIEGEL ONLINE. Durch ihre besondere Schlüsselposition könnten Imame zu „Motoren der Integration“ werden und eine wichtige Rolle beim interreligiösen Dialog spielen. „Damit die Imame diese vielfältigen Aufgaben – auch mit Blick auf eine gelingende Integration – erfüllen können, ist eine gezielte Weiterbildung der Imame vor Ort in Deutschland der richtige Weg“, sagt die CDU-Politikerin.
„Die universitäre Weiterbildung von Imamen ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Normalität. Der Islam wird so immer mehr heimisch in Deutschland“, sagt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek.
Osnabrück ist der erste Standort dieser universitären Lehre für Imame in Deutschland – ab nächstem oder übernächstem Jahr soll es auch in Tübingen ein ähnliches Programm geben. Das verkündete Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) am Dienstag.
Für Professor Ceylan ist das Weiterbildungsprojekt seiner Universität aber nur „eine kleine Lösung“. Das Ziel sei die grundsätzliche Ausbildung von Imamen an deutschen Hochschulen – von null an. Dazu muss es mehr Institute für islamische Theologie an deutschen Unis geben, wie es jetzt in Tübingen geplant ist.
„Denn wir brauchen dringend wissenschaftlichen Nachwuchs. Anders können wir keinen fundierten Disput hier in Deutschland über den Islam führen – und dann bekommen wir auch keinen europäisch geprägten Islam“, so Ceylan.
Schon jetzt hat das Vorhaben aus Osnabrück weltweit Aufsehen erregt. Zu einer Diskussionsveranstaltung an der Universität am Donnerstag kommt auch einer der weltweit bedeutendsten liberalen islamischen Gelehrten: Ahmad Mustofa Bisri vom größten Islamverband der Welt aus Indonesien.
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