Schlagwort: Hakkı Keskin

  • Für Recht und Freiheit

    Für Recht und Freiheit

    Für Recht und Freiheit 

    Eine Autobiografie des ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Bundesvorsitzenden der türkischen Gemeinde in Deutschland 

    Hakki Keskin (Autor) 

    Buch 

    384 Seiten 2024
    Frankfurter Literaturverlag
    978-3-8372-2836-6 (ISBN) 27,80 € inkl. MwSt. Noch nicht erschienen (ca. November 2024)

    Der Spiegel: „Herr Keskin, Sie leben seit 1965 in Deutschland. Verstehen Sie sich in diesen Tagen als Deutscher oder als Türke?“ „Wir haben immer zwei Identitäten, weil wir in der Türkei geboren wurden und hier aufgewachsen sind. Wir sind sowohl Türken als auch Deutsche. “

    Hamburger Rundschau: „Keskin: ‚Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind eine große Gefahr für den sozialen Frieden.‘“

    Frankfurter Rundschau: „Hakkı Keskin kritisiert den Entwurf der Bundesregierung zum neuen Ausländergesetz und zeigt menschliche Alternativen auf.“

    Süddeutsche Zeitung: „Keskin: ‚Deutschland ist endgültig zu einem Einwanderungsland geworden. Die Politik sollte diese Tatsache erkennen und ihre Politik radikal ändern.‘“

    Morgenpost: „Wie kein anderer Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft war Keskin bundesweit einflussreich. Mit neuen Ideen kämpfte er entschlossen für die doppelte Staatsbürgerschaft und gegen Kindervisa.“

    Hürriyet: „Seit seiner Studienzeit ist Hakkı Keskin einer der konsequentesten gesellschaftlichen Organisatoren und Sprecher der Türken in Deutschland …“

    Bild: „Nach vier Jahren kandidiert Professor Keskin von der SPD nicht wieder. Die SPD verliert eine wichtige Figur.“

    Taz: „SPD und der Migrant: Hakki Keskin setzt sich mit seiner Fraktion im Alleingang für das Antidiskriminierungsgesetz ein.“

  • Islamische Extremisten und Fundamentalisten sind Feinde des Demokratischen Rechtstaates

    Islamische Extremisten und Fundamentalisten sind Feinde des Demokratischen Rechtstaates

    Der Polizist Rouven Laur, noch 29 Jahre alt, starb an seinen Verletzungen. Ein Asylbewerber aus Afganistan hatte mit einem Messer mehrere Personen, darunter auch Lauer, schwer verletzt.

    „Es verdichten sich die Erkenntnisse, dass es sich um eine religiös motivierte, oder, um es konkret zu sagen, um eine islamistisch-extremistisch motivierte Straftat handelt“, sagte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl. Strobl warnte: „Gerade diese Leute sind besonders gefährlich.“

    Beim Gedenken an den getöteten Polizisten Laur, bezeichnete der Bundespräsident Steinmeier den Mord zurecht als „blutiger Terrorakt.“ Mich hat dieser unglaubliche Terrorakt und das Sterben eines jungen Polizisten zutiefst berührt. 

    Ich musste unweigerlich an die dutzenden namhaften, mir bekannten und sehr geschätzten Wissenschaftler/Innen und Journalisten, die in der Türkei ebenfalls Opfer  fanatischer Islamisten wurden, weil sie sich aktiv für Demokratie, Rechtstaat, Laizismus, Menschenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei eingesetzt hatten.  

    Für fanatischen Islamisten ist die Tötung von für sie als „ungläubigen“ geltenden Menschen eine Art religiöser Pflicht. Dies ebnet für sie sogar den Weg zum Paradies.  So auch für den afghanischen Attentäter. Das islamistische Terrorregime in Afghanistan ist hierfür ein existierendes Musterbeispiel. 

    Deshalb sehen wir, Millionen Menschen aus der Türkei in Deutschland und in der Türkei, die islamistischen Fundamentalisten als eine echte Gefahr für den demokratischen, sozialen und laizistischen Rechtsstaat. Der demokratischer Rechtstaat sollte sich dieser Gefahr bewusst sein und die erforderlichen rechtsstaatlichen Maßnahmen dagegen treffen.

    Islamische Extremisten und Fundamentalisten führen mit ihren bestialischen Terrorakten, ihren absurden religiösen Vorstellungen und brutalen Vorgehensweisen auch dazu, dass in Deutschland und auch in allen anderen europäischen Staaten die politisch rechtsradikalen Parteien, wie die AfD in Deutschland und die Partei von Le Pen in Frankreich, einen beachtlichen Stimmenzuwachs erhalten. Dies haben wir gerade bei den Europawahlen jüngst bei allen EU-Staaten bestätig gesehen. 

    Wir Menschen aus der Türkei, die wir schon lange deutsche Staatsbürger sind, haben schon vor Jahrzehnten versucht, die politisch Verantwortlichen auf diese Gefahren hinzuweisen, die durch die Instrumentalisierung der Religion seitens der Vertreter des islamischen Extremismus und Fundamentalismus und derer politischer Organisationen bestehen. 

    In der geltenden Verfassung der Türkei steht seit 1962 in Artikel 2 als ein unveränderlicher Grundsatz: “Die türkische Republik ist ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat.“ Laizismus sieht die Trennung zwischen Religion und Staat. Die Religion als Privatsache darf sich nicht in Staatsangelegenheiten und in die Staatsform einmischen. 

    Für unsere laizistische Überzeugung ist Religion Privatangelegenheit eines jeden Menschen. Die Religion darf sich jedoch nicht für politische, wirtschaftliche und soziale Ziele im Staat instrumentalisieren lassen, wie es in der Türkei bei gewissen politischen Parteien oft der Fall ist. 

    Die Regierungspartei Erdogans und er selbst missbrauchen die Religion für ihre politische Arbeit und Ziele. Es ist die Instrumentalisierung der Religion, die der regierenden Partei seit 22 Jahren zu ihren Wahlsiegen verholfen hat.

    Atatürks Ideen als Modell gegen Instrumentalisierung der Religion und gegen islamischen Fundamentalismus

    Bei der Gründung der Republik Türkei vor über hundert Jahre, am 29. Oktober 1923, wurde das 624-jährige osmanische Sultanat, als eine Art Königreich und das „Şeyhulislam“, (Kalifat) als eine Art Papsttum der gesamten islamischen Welt, abgeschafft. Diese waren nach dem 16. Jahrhundert verantwortlich für die  Rückständigkeit des  Osmanischen Staates in vielen Bereichen und  dessen Eintritt in den Ersten Weltkrieg. Durch die Niedelage im ersten Weltkrieg wurde das Gebiet der heutigeb Türkei grösstenteils von den Siegermächten Großbritannien, Frankreich, Italien und mit deren Hilfe auch von Griechenland okkupiert und in Besatzungszonen aufgeteilt. 

    Um die  Bedeutung von Mustafa Kemal Atatürk für die Republik Türkei zu verstehen, möchte ich hier einen Überblick über dessen Grundgedanken, die als Kemalismus bezeichnet werden, geben. 

    Der nationale Widerstand gegen die Besatzung der Siegermächte und die  Befreiung des Landes wurde von türkischen Offizieren unter Führung Mustafa Kemals  und seinen engsten Gesinnungsfreunden durchgeführt. Sie waren es, die vom 19. Mai 1919 bis zum 9. September 1922 unter Zuständigkeit der Nationalversammlung der Türkei in Ankara gegen die Besatzungsmächte einen siegreichen Befreiungskrieg organisierten und damit  die Unabhängigkeit der Türkei erzielten. Am 29. Oktober 1923 erfolgte die Konstituierung und Ausrufung der Republik Türkei. 

    Die Nationalversammlung der Türkei wählte Mustafa Kemal, später „Atatürk“ (Vater der Türken) genannt,  das Idol und die Personifikation des Befreiungs- und Unabhängigkeitskampfes, zum ersten türkischen Staatspräsidenten.

    Der türkische Befreiungs- und Unabhängigkeitskrieg galt in vielen kolonialisierten Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas bei ihrem Kampf gegen die imperalistischen Mächte als wegweisend und ermutigend. So für Mahatma Gandhi in Indien, für den Kampf Mao Zedongs in China, für Algerier in Nord-Afrika, für Kuba in Lateinamerika. Nicht ohne Grund wird in Schulbüchern Chinas auch heute über Atatürks-Befreiungskampf berichtet. 

    Mustafa Kemal hatte bereits als Student französich gelernt und auf der Militärakademie die Französische Revolution und ihre Ziele intensiv studiert. Das Osmanische Reich hatte am ersten Weltkrieg als Verbündeter Deutschlands teilgenommen; für Mustafa Kemal war Deutschland also nicht fremd – er besuchte Berlin in Begleitung des Tronfolger des Sultans.

    Als Gründer und erster Staatspräsident der jungen Republik Türkei führte er konsequent radikale politische, bildungspolitische,  wirtschaftliche und soziale Reformen durch, um die Türkei  auf allen Ebenen der Gesellschaft zu modernisieren.  Zugleich strebte er mit allen Nachbarstaaten freundschaftliche Beziehungen an.  

    Die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) hat im 1979 bei ihrer Generalversammlung, bei der 156 Staaten vertreten waren, einstimmig beschlossen, das 100. Geburtsjahr Mustafa Kemal Atatürks, also das Jahr 1981, als Gedenkjahr Atatürks zu proklamieren. 

    Der Leitsatz dieses Beschlusses lautet wie folgt: 

     „Mustafa Kemal ATATÜRK war   – eine überragende Persönlichkeit, die sich um die internationale Völkerverständigung und um den internationalen Frieden bemühte, –  ein Revolutionär von großem Format, –  der erste Staatsmann, der gegen Kolonialismus und Imperialismus kämpfte, – die Menschenrechte respektierend, – ein Vorkämpfer des Weltfriedens, – ein Staatsmann ohnegleichen, der keinen Unterschied der Farbe, der Religion  und  der Rasse unter Menschen machte, – der Begründer der modernen Republik Türkei.“

    In der Türkei war es unter der Führung Atatürks möglich, mit revolutionären Erneuerungen und Reformen die Modernisierung und in maßgeblichen Bereichen die „Europäisierung“ des rückständigen Landes radikal voranzutreiben. Atatürks Ziel war in seinen Worten, „das Erreichen des zeitgenössischen Niveaus der zivilisierten Welt“und das so schnell wie möglich. Innerhalb weniger Jahre  erfolgte eine radikale Bildungs- und  Rechtsreform, die Einführung der lateinischen Schrift, die Trennung von Staat und Religion, die als Laizismus das Fundament der Republik darstellt, die rechtliche Gleichstellung der Frau nebst dem Verbot der Polygamie sowie eine radikale Reformierung der Wirtschaft zur raschen Industrialisierung des finanzpolitischen und wirtschaftlichen unabhängigen Staates. 

    Atatürks charismatische Persönlichkeit und sein hohes gesellschaftliches Ansehen begünstigten diese Politik des radikalen gesellschaftlichen Wandels. Zweifelsohne konnte die von Atatürk durchgeführten radikalen Umwälzungen und Reformen nur gelingen, weil große Teile der Bevölkerung die ökonomische, gesellschaftliche und bildungsmäßige Rückständigkeit, die letztlich zum Untergang des Osmanischen Reichs geführt hatte, überwinden wollten. 

    Die Anhänger dieser revolutionären Reformen Mustafa Kemal Atatürks, die  sich „Kemalisten“ nennen, sehen sich in dieser Tradition der Anfänge der Republik, in der sich die Politiker mit großer Begeisterung für die Erneuerung und für das Wohl der Bevölkerung eingesetzt haben, ohne sich selbst zu bereichern und ohne in Korruptionsskandale verwickelt zu werden. In ihrer Regierungszeit bis 1950 haben sich die Kemalisten konsequent an diesem Grundsatz orientiert. Die überzeugten Kemalisten kämpfen auch heute gegen Korruption, Vetternwirtschaft und ungerechte Bereicherung der Politiker zu Lasten der Bevölkerung und des Staates. Allerdings hat es in den letzten Jahrzehnten auch Politiker gegeben, die sich als Kemalisten bezeichnen, die aber in Korruption und Vetternwirtschaft verwickelt sind. 

    Das Ausmaß Korruption, Vetternwirtschaft und an ungeheuerlicher Bereicherung unter der Regierung Erdogans zu Lasten der Bevölkerung und  des Staates, hat das Land jedoch in seiner ganzen Geschichte noch nie so erlebt.1)  

    Vor allem die Trennung von Staat und Religion, due säkulare Staatsform also, die von Atatürk eingeführt wurde, ist in der islamischen Welt einmalig und für die Erreichung eines demokratischen Rechtsstaates von unverzichtbare Bedeutung

    Laizismus ist in einem Lande, dessen Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist, unverzichtbar. Laizismus ist der Grundstein, auf dem die Republik Türkei erbaut wurde. 

    Für die fundamentalistisch orientierten Islamisten, aber auch für den politischen Islam, welche einen theokratischen Staat nach den Geboten der Scharia errichten wollen, wird der Kemalismus als Hauptfeind und größtes Hindernis gesehen. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen der religiös- konservativ orientierten AKP unter  Führung von Tayyip Erdoğan, die sich „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“  nennt, und den Kemalisten, sind nur vor diesem Hintergrund begreifbar. 

    Die Tatsache, das Mausoleum von Atatürk in Ankara jährlich von mehreren Millionen Menschen besucht wird, belegt seine große, ja sogar vom Jahr zu Jahr zunehmende Beliebtheit unter großen Teilen der Bevölkerung – auch als Zeichen gegen die Politik Erdoğans. So besuchten laut offiziellen Angaben 2021: 2 146 892 , 2022: rund vier Millionen und 2023: 5 769 045  Besucher  das Mausoleum Atatürks.

    Viele Intellektuelle in der westlichen Welt unterschätzen die Bedeutung des säkularen Staates in den islamischen Staaten

    Wenn heute in rund 50 islamischen Staaten keine echte Demokratie herrscht und es keinen Rechtssaat gibt, besteht der Hauptgrund darin, dass es in diesen Ländern keine säkulare Staatsform besteht.  Daher stellt der Laizismus die Grundvoraussetzung  für Demokratie und Rechtsstaat vor allem in den islamischen Ländern dar. 

    Viele Intellektuellen in der westlichen Welt, dies ist meine Beobachtung, unterschätzen leider diese unverzichtbare Bedeutung des Laizismus in Staaten, die hauptsächlich muslimisch geprägt sind. Im Gegensatz zu christlich geprägten Ländern gibt es in vielen dieser Staaten weiterhin Aufstände und an manchen Orten auch  Krieg im Namen einer nach eigenen Vorstellungen interpretierten Religion, wie wir dies in Afghanistan, in Pakistan, im İrak, in Syrien und an vielen Orten der Welt beobachten können. 

    In Deutschland und in Europa haben wir namentlich politische Parteien, die sich „christlich“ nennen. Keine dieser christlichen Parteien fordern oder kämpfen jedoch für eine verfassungsmäßig verankerte Staatsform, nach christlichen Vorstellungen, wie sie im Mittelalter vorherrschend waren. Diesen fundamentale Unterschied sollten die Intellektuellen und Politikerinnen/er in Europa und in Deutschland nicht außer Acht lassen.

    Die Partei Erdoğans und er selbst, die das Land nun mehr seit 22 Jahren regieren, haben seit ihrer Machtergreifung die kemalistisch und sozialdemokratisch orientierte „Republikanische Volksparte“ (CHP) als eine Partei propagiert, welche die Demokratisierung  verhindere und gegen den EU-Beitritt gerichtet sei. Dies habe ich persönlich als Abgeordneter des Bundestages und in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats seitens mancher deutschen  Politikerinnen und Politiker gehört. 

    Es waren jedoch gerade Atatürk und seine Mitstreiter, die eine klare Westorientierung der Türkei seit ihrer Gründung 1923 zu ihrem Grundziel erklärt hatten und mit eingeleiteten radikalen Reformen auch in die Tat umsetzten 2).

    Die von Atatürk gegründete Partei, die „Republikanische Volkspartei“ (CHP), hat eine umfassende Publikation herausgegeben mit der Überschrift: „EU-Beitritt ja, privilegierte Partnerschaft nein“. Genau darum geht es den Sozialdemokraten und Kemalisten: Sie wollen, dass die Türkei gleich behandelt wird mit allen aufgenommenen und aufzunehmenden Ländern in die EU. Sie sind gegen jegliche Form der Ungleichbehandlung und Diskriminierung der Türken. Was soll daran nicht richtig sein? 

    Es sind die kemalistisch orientierten Intellektuellen, Wissenschaftler, Journalisten, Künstler, Richter, Lehrer, Ärzte und Offiziere, die seit Jahrzehnten unermüdlich für die radikalen demokratischen Reformen in der Türkei eintreten und diese unnachgiebig fordern. 

    Die Ideen von Atatürk dürfen jedoch nicht statisch verstanden und als unantastbar tabuisiert werden. Sie sind vielmehr dynamisch, als sich ständig erneuernde Überlegungen zu interpretieren.

    Die Anhänger der Ideen Atatürks sind konsequente Verteidiger des Laizismus. „Die Türkei ist ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat.“ So lautet der Artikel 2 der Verfassung. Dieser Artikel ist unveränderlich und unantastbar. 

    Vereine zur Förderung der Ideen Atatürks 

    Weltweit, in Europa und in Deutschland sind hunderte eingetragene Vereine der Menschen mit türkischer Herkunft, vor allem unter dem Namen „Verein zur Förderung der Ideen Atatürks“ aktiv. Die Mitglieder dieser Vereine sind voll und ganz in die jeweilige Gesellschaft, in der sie leben, auch in Deutschland integriert, sind für Demokratie und Rechtsstaat, akzeptieren voll und ganz das Grundgesetz und treten ganz entschieden für ein friedliches und gleichberechtigtes Leben in Deutschland ein. Ich selbst bin Mitglied dieser Vereine in Hamburg, wo ich 25 Jahre lang als Hochschullehrer tätig war. Ich bin auch Mitglied des Vereins in Berlin-Brandenburg.

    Zu meinem großen Erstaunen erhalten dieser Vereine bei ihrer Arbeit keinerlei politische oder auch finanzielle Unterstützung von Behörden und erfahren selten die Aufmerksamkeit der Medien, im Gegensatz zu den Vereinen, die substanziell gegen Integration, säkularen und demokratische Rechtssates orientier sind. 

    Ich frage mich, ob diese Haltung der Politikerinnen/er primär mit anti-imperialistischen Positionen der „Vereine zur Förderung der Ideen Atatürks“ zu erklären ist. Es wäre ehrlich und schön, wenn wir hierzu eine aufrichtige Erklärung bekämen.   

    1. Größte Korruptionsskandale in der Geschichte der Türkei, in: Hakki Keskin, Die Politik Erdoğans führt das Land Innen- und Aussenpolitisch in die Sackgasse, Hamburg, Oktober 2015,   
    2.  Für detailliertere Informationen siehe: Keskin, Hakkı: Die Türkei. Vom Osmanischen Reich zum Nationalstaat, Berlin 1978 (Mein Studium und Dissertation habe ich am Otto-Suhr Institut der FU Berlin abgeschlossen. Großteil meiner Doktorarbeit erschien in fünf Auflagen  im obigen Titel).

    Prof. Dr. Hakki Keskin, Politikwissenschaftler, ehem. MdB,  www.keskin.de                                                                                                       

    12.6.2024

  • Kemalismus als Model

    Kemalismus als Model

    Sehr geehrte Damen und Herren von den Medien und Politik,

    ich möchte Sie bitten, diesen Beitrag von mir, unter anderem auch unter dem Gesichtspunkt der Integrationspolitik, zu lesen und zu bewerten. Mit freundlichen Grüßen

    Prof. Dr. Hakki Keskin, Politikwissenschaftler, ehem. MdB, www.keskin.de 5.10. 9. 2018

    Kemalismus als Modell gegen die Instrumentalisierung der Religion

    Um die Bedeutung von Mustafa Kemal Atatürk für die Republik Türkei zu verstehen, braucht es einen Überblick auf dessen Wirkung und Grundgedanken, die als Kemalismus bezeichnet wird.

    Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg des Osmanischen Reiches – das Reich war als Verbündeter des Deutschen Kaiserreichs in den Krieg hineingezogen worden – wurde die heutige Türkei von den Siegermächten Großbritannien, Frankreich, Italien und Griechenland okkupiert und in Besatzungszonen aufgeteilt. Der nationale Widerstand gegen diese Besatzung und für die Befreiung des Landes wurde von türkischen Offizieren unter Führung Mustafa Kemals und seinen engsten Gesinnungsfreunden durchgeführt. Sie waren es, die vom 19. Mai 1919 bis zum 9. September 1922, unter der Zuständigkeit der Nationalversammlung der Türkei, in Ankara, gegen die Besatzungsmächte einen siegreichen Befreiungskrieg organisierten und die Unabhängigkeit der Türkei erzielten. Am 29. Oktober 1923 erfolgte die Konstituierung und Ausrufung der Republik Türkei.

    Das 624-jährige osmanische Sultanat und das „Şeyhulislam“, eine Art Papsttum der gesamten islamischen Welt, wurden abgeschafft. Die Nationalversammlung der Türkei wählte Mustafa Kemal, später „Atatürk“ (Vater der Türken genannt), das Idol und die Personifikation des Befreiungs- und Unabhängigkeitskampfes, zum ersten türkischen Staatspräsidenten.

    Der türkische Befreiungs- und Unabhängigkeitskrieg galt, vor allem gegen imperialistische Mächte, in kolonialisierten Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas als wegweisend und ermutigend. So für Mahatma Gandhi in Indien, für den Kampf Mao Zedongs in China, für Algerien in Nord-Afrika, für Kuba in Lateinamerika. Nicht ohne Grund wird in Schulbüchern Chinas auch heute über Atatürks Befreiungskampf berichtet.

    Die Generalversammlung der UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) hat im Jahre 1979, bei der 156 Staaten vertreten waren, einstimmig beschlossen, das 100. Geburtsjahr Mustafa Kemal Atatürks, also 1981, als Gedenkjahr Atatürks zu proklamieren.

    Der Leitsatz dieses Beschlusses lautet wie folgt:

    „Mustafa Kemal ATATÜRK war – eine überragende Persönlichkeit, die sich um die internationale Völkerverständigung und um den internationalen Frieden bemühte, – ein Revolutionär von großem Format, – der erste Staatsmann, der gegen Kolonialismus und Imperialismus kämpfte, – die Menschenrechte respektierend, – ein Vorkämpfer des Weltfriedens, – ein Staatsmann ohnegleichen, der keinen Unterschied der Farbe, der Religion und der Rasse unter Menschen machte, – der Begründer der modernen Republik Türkei.“

    In der Türkei war es unter Führung Atatürks möglich, mit revolutionären Erneuerungen und Reformen die Modernisierung und in maßgeblichen Bereichen die „Euro­päisierung“ des mittelaltermäßig rückständigen Landes, radikal voranzutreiben. Atatürks Ziel war es in seinen Worten, „das Erreichen des zeitgenössischen Niveaus der zivilisierten Welt“, und das so schnell wie möglich. Innerhalb weniger Jahre erfolgte eine radikale Bildungs- und ­ Rechtsreform, die Einführung der lateinischen Schrift, die Trennung von Staat und Religion, die als Laizismus das Fundament der Republik darstellt, die rechtliche Gleichstellung der Frau nebst dem Verbot der Polygamie sowie eine radikale Reformierung der Wirtschaft zur raschen Industrialisierung des finanzpolitischen und wirtschaftlichen unabhängigen Staates.

    Atatürks charismatische Persönlichkeit und sein hohes gesellschaftliches Ansehen begünstigten diese Politik des radikalen gesellschaftlichen Wandels. Zweifelsohne konnten die von Atatürk durchgeführten radikalen Umwälzungen und Reformen nur gelingen, weil große Teile der Bevölkerung die ökonomische, gesellschaftliche und bildungsmäßige Rückständigkeit, die letztlich zum Untergang des Osmanischen Reichs geführt hatte, überwinden wollten.

    Die Anhänger der Reformen Mustafa Kemal Atatürks, die sich „Kemalisten“ nennen, sehen sich in dieser Tradition der Anfänge der Republik, in der sich die Politiker mit großer Begeisterung für die revolutionäre Erneuerungen und für das Wohl der Bevölkerung eingesetzt haben, ohne sich selbst zu bereichern und ohne in Korruptionsskandale verwickelt zu werden. In ihrer Regierungszeit bis 1950 haben sich die Kemalisten konsequent an diesem Grundsatz orientiert. Die überzeugten Kemalisten kämpfen auch heute gegen Korruption, Vetternwirtschaft und ungerechte Bereicherung der Politiker zu Lasten der Bevölkerung und des Staates.

    Allerdings gibt es in den letzten Jahrzehnten auch Politiker, die sich als Kemalisten bezeichnen, die aber in Korruption und Vetternwirtschaft verwickelt sind. Jedoch eine solche Korruption, Vetternwirtschaft und eine ungeheuerliche Bereicherung der unter den Regierungen Erdogans zu Lasten der Bevölkerung und des Staates, hat das Land in ihrer Geschichte noch nicht erlebt.1)

    Vor allem die Trennung Staat und Religion, die säkulare Staatsform also, die von Atatürk eingeführt wurde, ist in der islamischen Welt einmalig und für die Erreichung eines demokratischen Rechtsstaates von unverzichtbarer Bedeutung. Laizismus ist in einem Lande, dessen Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist, unverzichtbar. Laizismus ist der Grundstein, auf dem die Republik Türkei erbaut wurde. Für die fundamentalistisch orientierten Islamisten aber auch für den politischen Islam, welche einen theokratischen Staat nach den Geboten der Scharia errichten wollten, wird der Kemalismus als Hauptfeind und größte Hindernis gesehen. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen der religiös- konservativ orientierten AKP unter Führung von Tayyip Erdoğan und den Kemalisten, sind nur vor diesem Hintergrund begreifbar.

    Wenn es heute in rund 50 islamischen Staaten keine echte Demokratie und keinen Rechtssaat gibt, basiert der Hauptgrund darauf, dass in diesen Ländern keine säkulare Staatsform besteht. Daher stellt der Laizismus die Grundvoraussetzung für Demokratie und Rechtsstaat vor allem in den islamischen Ländern dar.

    Viele Intellektuelle in der westlichen Welt, dies ist meine Beobachtung, unterschätzen leider diese unverzichtbare Bedeutung des Laizismus, gerade bevölkerungsmäßig islamischen Staaten. Im Gegensatz zum Christentum, gehen die Aufstände und an manchen Orten auch die Kriege für einen, nach eigenen Religionsvorstellungen geformten Religion Staat weiter, wie wir dies in Afghanistan, in Pakistan, im İrak, in Syrien und an vielen Orten der Welt beobachten können.

    In Deutschland und in Europa haben wir namentlich politische Parteien, die sich „christlich“ nennen. Keine dieser christlichen Parteien fordern oder kämpfen jedoch für eine verfassungsmäßig verankerte Staatsform, nach christlicher Religion des Mittelalters. Diesen fundamentalen Unterschied sollten die Intellektuellen und Politikerinnen/er in Europa und in Deutschland nicht außer Acht lassen.

    Die Partei Erdoğans und er selbst, die das Land nun mehr seit 16 Jahren regieren, haben seit ihrer Machtergreifung die kemalistisch und sozialdemokratisch orientierte „Republikanische Volkspartei“ (CHP) als eine Partei propagiert, welche die Demokratisierung verhindere und gegen den EU-Beitritt gerichtet sei. Dies habe ich persönlich als Abgeordneter des Bundestages von manchen deutschen Politikerinnen und Politikern erfahren.

    Es waren doch gerade Atatürk und seine Mitstreiter, die eine klare Westorientierung der Türkei seit ihrer Gründung 1923 zu ihrem Grundziel erklärten und mit eingeleiteten radikalen Reformen auch in die Tat umsetzten.2)

    Die von Atatürk gegründete Partei, die Republikanische Volkspartei (CHP), hat eine umfassende Publikation herausgegeben mit der Überschrift: „EU-Beitritt ja, privilegierte Partnerschaft nein“. Genau darum geht es den Sozialdemokraten und Kemalisten: Sie wollen, dass die Türkei gleich behandelt wird mit allen aufgenommenen und aufzunehmenden Ländern. Sie sind gegen jegliche Form der Ungleichbehandlung und Diskriminierung der Türken. Was soll daran nicht richtig sein?

    Es sind die kemalistisch orientierten Intellektuellen, Wissenschaftler, Journalisten, Künstler, Richter, Lehrer, Ärzte und Offiziere, die seit Jahrzehnten unermüdlich für die radikalen demokratischen Reformen eintreten und diese unnachgiebig fordern.

    Die Ideen von Atatürk dürfen jedoch nicht statisch verstanden und als unantastbar tabuisiert werden. Sie sind vielmehr dynamisch, als sich ständig erneuernde Überlegungen zu interpretieren.

    Sie sind konsequente Verteidiger des Laizismus. „Die Türkei ist ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat.“ So lautet der Artikel 2 der Verfassung. Dieser Artikel ist unveränderlich und unantastbar.

    Die Gewaltenteilung ist eine der großen Errungenschaften der Französischen Revolution. Ohne sie ist – das ist sicherlich unumstritten – eine Demokratie nicht denkbar. Die Judikative hat in allen demokratischen Rechtsstaaten nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, die Legislative und die Exekutive in ihren sämtlichen Handlungen zu kontrollieren. Diese große verfassungsmäßig garantierte Errungenschaft auch in der Türkei, wurde unter Erdoğans „Präsidialsystem“ de facto abgeschafft.

    Die Zeitung „Cumhuriyet“ ist so alt wie die Republik Türkei

    Die Zeitung Cumhuriyet begann ihre Publikation am 7. Mai 1924, sechs Monate nach der Ausrufung der Republik Türkei. Namensgeber ist Atatürk, Inhaber ist der bekannte Mitkämpfer gegen die Besatzungsmächte und für die Befreiung des Landes Yunus Nadi. Cumhuriyet hat sich seit Ihrer Gründung konsequent als eine unabhängige Tageszeitung und als Verteidigerin der Grundideen Atatürks und der Republik Türkei orientiert.

    Nach dem Tode Yunus Nadis übernahm sein Sohn Nadir Nadi die Führung der Zeitung. Mit dem bekannten Kolumnisten İlhan Selçuk, Uğur Mumcu und vielen anderen namhaften Journalisten, blieb diese einflussreiche Tageszeitung ihren Gründungsideen treu. Immer wieder wurden von politisch anders orientierten Kräften und Regierungen, vor allem mit finanzpolitischen Maßnahmen versucht, die Zeitung Cumhuriyet aus ihrer traditionellen Orientierung zu entfernen. Zeitweilig wurde die Leitung der Zeitung entmachtet, so auch die namhaften Journalisten İlhan Selçuk und andere. Daraufhin gingen Auflagen massiv zurück, so dass İlhan Selçuk und sein Team erneut die Leitung der Zeitung übernahmen.

    Nach dem Tod von Nadir Nadi wurde 1993 die „Cumhuriyet Stiftung“ gegründet, die dann zum Inhaber der Zeitung wurde.

    Bei der Gründung der Stiftung für Cumhuriyet wurde die Grundorientierung für die zu wählende Stiftungsleitung festgelegt. Diese gelten nach wie vie als verbindliche Grundorientierung für Cumhuriyet. Hier die wörtliche Übersetzung dieser Prinzipien.

    „1. Die Zeitung Cumhuriyet ist weder Regierungs- noch eine Parteizeitung. 2. Die Zeitung Cunmhuriyet ist Verteidigerin der Republik Türkei und der Demokratie auf wissenschaftlicher Basis. Die Orientierung an Rechtsstaat stellt das Fundament der Zeitungspolitik. 3. Gegen alle Bestrebungen, die die Demokratie beheben wollen, wird Widerstand geleistet und in allen Bereichen für eine echte Demokratie gekämpft. 4. Die Zeitung Cumhuriyet wird sich durch die revolutionären Errungenschaften Atatürks eingeschlagenen Weg, nämlich für Befreiung der Intelligenz von Fanatismus, für Befreiung der Wissenschaft vom religiösen Dogmatismus und für die Akzeptanz des Laizismus durch breite Teile der Bevölkerung einsetzen. Die Zeitung Cumhuriyet akzeptiert die Deklaration für Grundrechte und Freiheiten für Menschen als Verfassung der universalen Demokratie. Die Leitung der Zeitung Cumhuriyet hält an der Grundidee fest, dass die von Atatürk erreichte Unabhängigkeit und Einheit des Landes weiterhin unser Hauptanliegen bleibt. 6. Durch den Befreiungskrieg erkämpfte nationale Grenzen stehen nicht in Disposition. Die Zeitung Cumuriyet ist Verteidigetrin durch den Befreiungskrieg erkämpften nationalen Grenzen des Landes. 7. Diese glorreiche Identität, Prinzipien und Ziele der Zeitung Cumhuriyet haben in langen Jahren in der Gesellschaft Wurzeln geschlagen. Wir sehen es als unsere Verpflichtung und Aufgabe an, die Zeitung Cumhuriyet aufrecht zu erhalten, ohne die Ideen Atatürks Preis zu geben. Wir werden weiterhin der Republik Türkei, der türkischen Bevölkerung und den Lesern von Cumhuriyet treu blieben.“ (Cumhuriyet, 8.9.2018).

    Über die jüngste Entwicklung in der traditionellen Tageszeitung Cumhuriyet wurde in deutschen und französischen Medien kritisch berichtet, als die Stiftungsleitung in Folge einer lang anhaltenden Gerichtsentscheidung wechselte. Das Gericht hatte die Wahl vom 18.2.2014 zur Stiftungsleitung annulliert. Die alte Stiftungsleitung legte dagegen Widerspruch ein. Vom Kassationsgerichtshof, als letzte Instanz, wurde am 3.8.2018 die Entscheidung des Gerichtes zur Annullierung der Wahl bestätigt. Am 7.8.2018 erfolgte daraufhin eine neue Wahl für die Stiftungsleitung, diese gewann die jetzige am Kemalismus orientierte Stiftungsleitung. Die neue Stiftungsleitung veröffentlichte die oben zitierten 7 Punkte und erklärte, dass die Zeitung Cumhuriyet sich erneut an diesen traditionellen Grundwerten orientieren wird, woran sich die abgewählte Stiftungsleitung offensichtlich nicht mehr gebunden fühlte.

    Ich las die Zeitung Cumhuriyet als Abonnent seit 1968, damals als Student an der FU Berlin. Die Zeitung war immer über die Geschehnisse und Lage in der Türkei, aber auch in der Welt, eine zuverlässige Informationsquelle. Auf der zweiten Seite der Zeitung unter „Ereignisse und Beobachtungen“ erschienen von vielen Wissenschaftlern sehr interessante und wichtige Beiträge, die ich zum Teil auch für meine wissenschaftliche Arbeit habe nutzen können. Auch von mir sind auf dieser Seite eine Reihe Beiträge veröffentlicht worden.

    Viele namhafte Kolumnisten und Wissenschaftler, die in Cumhuriyet schrieben, habe ich persönlich kennen- und schätzen gelernt wenn ich in der Türkei war und die Zeitung besuchte. Unter anderem Nadir Nadi, İlhan Selçuk, Uğur Mumcu, Oktay Akbal, Prof. Dr. Muammer Aksoy, Prof. Dr. Ahmet Taner Kışlalı.

    Als ich wegen meiner Kritiken über die Lage in der Türkei 1970 von der türkischen Regierung ausgebürgert wurde, damals als Student an der FU (ich gehöre zu den aktiven Mitstreitern der 68er Ereignisse in Berlin), hatte die Zeitung Cumhuriyet und fast alle ihre Kolumnisten meine Ausbürgerung massiv kritisiert. Einer der namhaftesten Journalisten Uğur Mumcu, der auch als Junis in der Universität Ankara lehrte, vertrat mich als Rechtsanwalt und gewann den Prozess gegen meine Ausbürgerung. Erhielt die türkische Staasbürgerschaft zurück, wurde aber nach dem Eingreifen des Militärs 1971 erneut ausgebürgert. Auch gegen diese Ausbürgerung gewann ich den Prozess beim Oberverwaltungsgericht gegen die Regierungen der Türkei.

    Wie in meinem persönlichen Fall, war und ist Cumhuriyet immer auf der Seite der ungerecht Behandelten und Benachteiligten in der Türkei. Die Lage in der Türkei wird stets kritisch beobachtet und bewertet. Die Zeitung ist immer anti-imperialistisch, konsequent laizistisch, tritt entschieden immer für Rechtsaat, Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit und für die Rechte der Gewerkschaften ein. Politisch waren und sind die meisten der Kolumnisten der Zeitung Cumhuriyet als linke Sozialdemokraten einzuordnen, wie ich mich auch politisch definiere.

    Auch neugewählten Mitglieder der Stiftungsleitung kämpfen mit ihrer Publikationen seit Jahrzehnten für den Demokratie, Rechtsstaat, Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. Sie sind Kritiker der Politik Erdoğans, so Alev Coskun, Ali Sirmen, Mustafa Balbay, die auch wegen ihrer kritischen Veröffentlichungen unter Haftstrafen erleiden müssten.

    Deshalb war und ist die Zeitung immer Zielscheibe der Angriffe der konservativen Regierungen seit den 1950er Jahren. Die beliebtesten und landesweit bekanntesten Kolumnisten und Wissenschaftler, die für diese Zeitung schrieben, wurden in Folge von Attentaten, mit großer Wahrscheinlichkeit von fundamentalistisch gegen den säkularen Staat orientierten Terroristen grausam getötet. So Prof. Dr. Muammer Aksoy, Prof. Dr. Bahriye Üçok, Uğur Mumcu, Prof. Dr. Ahmet Taner Kişlalı. Die versprochene Aufklärung der Regierungen über die Täter blieb bis heute weitestgehend aus.

    Weltweit, in Europa und in Deutschland sind hunderte eingetragene Vereine der Türken, vor allem unter dem Namen „Verein zur Förderung der Ideen Atatürks“ aktiv. Die Mitglieder dieser Vereine sind voll und ganz in die Gesellschaften, auch in Deutschland, integriert und treten ganz entschieden für ein friedliches und gleichberechtigtes Leben ein. Ich selbst bin Mitglied dieser Vereine in Hamburg, wo ich 25 Jahre lang als Hochschullehrer tätig war. Ich bin auch Mitglied des Vereins in Berlin-Brandenburg.

    Zu meinem großen Erstaunen erhalten dieser Vereine bei ihrer Arbeit keinerlei finanzielle Unterstützung von Behörden und erfahren selten die Aufmerksamkeit der Medien, im Gegensatz zu den Vereinen, die substanziell gegen Integration und säkularem Staat orientiert sind. Ich frage mich, ob diese Haltung der Politiker/innen primär mit anti-imperialistischen Positionen der „Vereine zur Förderung der Ideen Atatürks“ zu erklären ist. Es wäre ehrlich und schön, wenn diese Vereine hierzu eine aufrichtige Erklärung bekämen.

    1) Größte Korruptionsskandale in der Geschichte der Türkei, in: Die Politik Erdoğans führt das Land Innen- und Außenpolitisch in die Sackgasse, Hakki Keskin, Hamburg, Oktober 2015.

    2) Für fundierte Informationen siehe: Keskin, Hakkı: Die Türkei. Vom Osmanischen Reich zum Nationalstaat, Berlin 1978 (Mein Studium und Dissertation habe ich am Otto-Suhr Institut der FU Berlin abgeschlossen).

    Die Ideen von Atatürk dürfen jedoch nicht statisch verstanden und als unantastbar tabuisiert werden. Sie sind vielmehr dynamisch, als sich ständig erneuernde Überlegungen zu interpretieren. Manche Politiker jedoch, die sich auf Kemalismus berufen, verbergen ihre, vor allem an eigenen wirtschaftlichen Interessen und persönlichen Vorteilen orientierte Politik, unter dem Deckmantel des „Kemalismus“.