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  • Ausstellung : Der Geist von Gezi – Kultur – Tagesspiegel

    Ausstellung : Der Geist von Gezi – Kultur – Tagesspiegel

    Der Geist von Gezi

    20.12.2013 13:21 Uhr

    Von Stella Marie Hombach

    WIRECENTER

    Eine junge Türkin in Istanbul. – FOTO: JIM RAKETE

    Der Fotograf Jim Rakete ist kurz vor den Protesten am Taksim-Platz nach Istanbul gereist und hat gemeinsam mit dem Autor Moritz Rinke junge Türken portraitiert. Entstanden ist daraus ein Film und eine Ausstellung, die nun in Berlin zu sehen ist

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    Die junge Türkin lacht und blickt fröhlich in die Kamera. „Merkel sollte nach Istanbul kommen und mit Erdogan einen Raki trinken“, scherzt sie. Geht leider nicht, der türkische Premier trinkt bekanntlich keinen Alkohol. Ein Student sagt, dass er an Europa vor allem die Fähigkeit zur Selbstkritik schätze. Sein Blick ist offen, die Antworten schnell und direkt.

    Während eines Stipendiums in der vom Gowethe-Institut betreuten Villa Tarabya sind Fotograf Jim Rakete und Schriftsteller Moritz Rinke losgezogen, um mit Istanbuls Jugend in Dialog zu treten: Wie sieht ihr Leben aus, was bewegt sie, welches Verhältnis haben sie zu Europa? Mit Film- und Fotokamera haben sie Fragen gestellt, Stimmen eingefangen, Gesichter porträtiert.

    Die Straßen sind friedlich, noch haben sich die Gezi-Proteste nicht ausgeweitet. Die Ausstellung „Gelecek ve Yüzlesme – Face and Future“ in der Stiftung Mercator erteilt Istanbuls Jugend das Wort – mit einem Video und 20 Fotografien. Eine Momentaufnahme, vor den Protesten auf dem Taksim-Platz entstanden. Das Mosaik einer Generation, die im Diskurs um die EU-Beitrittsverhandlungen bis jetzt kaum sichtbar war. Gezeigt werden junge Leute, offen, selbstbewusst, kritisch. „In den Gesprächen pulsiert etwas“, erzählt Rinke. Der Geist von Gezi liegt in der Luft, erste Konflikte blitzen auf. „Bei uns gibt es diese türkische Herzlichkeit, jeder kümmert sich “, so eine Studentin. „Aber das erstickt mich manchmal.“ Wertvorstellungen driften auseinander. Der Drang zur Selbstbestimmung kollidiert mit den Traditionen des Zusammenhalts. Es rumort.

    In den Porträts leuchtet eine Energie, ein Drang zur Bewegung auf. Seit Sommer 2013 ist Taksim zum Sinnbild der Veränderung geworden. Rakete sieht die Lage nüchtern: „Jetzt ist der Moment, in dem man aufpassen muss.“ Nicht Proteste entscheiden über den Weg der Türkei, sondern Wahlen. Istanbuls junge Generation ist zwar in Europa angekommen, doch sie sucht eigene Wege. Statt andere zu bewundern, will sie selbst aktiv werden – und das nicht zwangsläufig in der EU. Nur die Hälfte von Raketes Gesprächspartnern sieht die Zukunft im Beitritt. EU und Europa sind nicht deckungsgleich. Rinke und Rakete haben erste Fragen gestellt. Nun gilt es, den Dialog über Gezi hinaus fortzusetzen.

    via Ausstellung : Der Geist von Gezi – Kultur – Tagesspiegel.

  • Weiße Türken, schwarze Türken

    Weiße Türken, schwarze Türken

    Weiße Türken, schwarze Türken

    Spiegel’de İlk kez yer alan Türkçe Sayfalar

    Von Steinvorth, Daniel und Zand, Bernhard

    titelDer wirtschaftliche Aufstieg hat die Gegensätze in der türkischen Gesellschaft verdeckt, anstatt sie aufzuheben. Der EU-Beitrittskandidat am Bosporus steht vor einem historischen Neubeginn.

    Das Erste, was ein Reisender sieht, wenn er die Passkontrolle in Istanbul hinter sich hat, ist ein Monument der Weltbürgerlichkeit, des Konsums und der Trinkfreude: ein 25 Meter langes und bis an die Decke reichendes Riesenregal mit Gin, Wodka und Whisky, mit Weinen aus Frankreich, Italien und der Neuen Welt. Die Duty-free-Mall des Atatürk-Flughafens ist eine der umsatzstärksten in Europa.

    Den Namensgeber des Flughafens hätte das gefreut. Mustafa Kemal Pascha, genannt Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, genoss den Raki, den türkischen Anisschnaps, auch zu islamischen Feiertagen.

    Der gegenwärtige Ministerpräsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, hält das Trinken für Sünde. Schon als Oberbürgermeister von Istanbul kujonierte er Barbesitzer, ließ auf städtischen Grundstücken den Alkoholausschank verbieten. Vor gut vier Wochen setzte er ein Alkoholgesetz durch, das den Ausschank nach 22 Uhr ebenso untersagt wie die Werbung für Bier und Wein. „Das alte Alkoholgesetz“, begründete er die Novelle im Parlament, „wurde von zwei Säufern durchgesetzt, sollen wir nicht lieber das Gesetz Gottes vorziehen?“ Mit dem einen Säufer war Atatürk gemeint, mit dem anderen angeblich dessen Nachfolger Ismet Inönü.

    Die Türken haben kein besonderes Alkoholismus-Problem. Und dennoch berührt die scheinbar nebensächliche Alkoholgesetzgebung in der Türkei eine viel grundsätzlichere Frage als anderswo in Europa. Es geht um die Identität des Landes, wie auch bei sozialen Normen für Bekleidung, Barttracht und Familienplanung…

    https://www.spiegel.de/politik/weisse-tuerken-schwarze-tuerken-a-11c4fa4e-0002-0001-0000-000099311820?context=issue

  • Pfefferspray – Prof. Dr. Jan G. Hengstler

    Pfefferspray – Prof. Dr. Jan G. Hengstler

    Bild1.) Wie würden Sie das Pfefferspray definieren? Wer erfand die Waffe, und
    warum bzw. wie entwickelte diese sich zur einer Waffe für Polizeieinsätze?
    Pfefferspray ist ein Reizspray, das ursprünglich zur Tierabwehr entwickelt
    wurde. Der Wirkstoff ist ein Extrakt aus Chilifrüchten, auch „Oleoresin
    Capsicum“ genannt.  Oleoresin Capsicum ist ein Gemisch aus Phenolen, von
    denen Capsaicin (trans-8-methyl-N-vanillyl-6-nonenamide) und
    Dihydrocapsaicin am stärksten wirksam sind. Die Polizei in Deutschland setzt
    das Reizspray seit 2000 ein. Es kann über bis zu etwa sieben Metern
    versprüht werden.

    2.) Welche gesundheitlichen Schäden kann Pfefferspray bei Menschen
    verursachen?
    Capsaicin reizt sensorische Nerven. Hierdurch kommt es zu Entzündungen von
    Haut und Augen mit vorübergehender Erblindung. Hinzu kommen
    unkontrollierbare Hustenanfälle, Atemnot und Krämpfe im Oberkörper.
    Kritischer als diese meist nach einer Stunde abklingenden Symptome sind die
    selteneren Komplikationen. Das Einatmen von Pfefferspray kann zur
    sogenannten akuten Hypertension führen, einer Blutdruckkrise, welche mit
    erhöhtem Risiko für  Herzinfarkt und Schlaganfall einhergeht. Kritisch ist
    Pfefferspray außerdem für Asthmatiker, da es einen Anfall auslösen kann.
    Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray sind belegt.

    [Mögliche zusätzliche Frage]: Ist Pfefferspray dadurch harmloser, dass es
    aus Pflanzen gewonnen wird?
    Auf keinen Fall. Die gefährlichsten Gifte, die wir kennen, kommen aus
    Pflanzen. Hinzu kommt, dass es sich bei dem „Oleoresin Capsicum“ Extrakt um
    eine Substanzmischung handelt, die in Bezug auf gesundheitliche Gefahren
    schwieriger zu bewerten ist, als eine reine Substanz. In toxikologischen
    Studien mit Chiliextrakten wurden Hinweise auf erbgutschädigende und
    krebserzeugende Wirkungen gefunden. Hingegen zeigten Studien mit
    aufgereinigtem Capsaicin nur sehr schwache Effekte. Das lässt die
    Möglichkeit offen, dass Verunreinigungen im „Oleoresin Capsicum“ kritisch
    sein könnten. Insgesamt lässt die toxikologische Bewertung des Pfeffersprays
    neben den oben erwähnten gut dokumentierten Gesundheitsschäden noch
    kritische Fragen im Bereich möglicher krebserzeugender Wirkungen offen.
    Konsequenterweise ist „Oleoresin Capsicum“ für den Einsatz am Menschen nicht
    zugelassen.

    3.) Auf welche Art und Weise können Menschen sich vor diesen
    gesundheitlichen gefährlichen Auswirkungen des Pfeffersprays schützen?
    Ein Schutz kann durch dichte Brillen und Atemschutzmasken erreicht werden.
    Kontaktlinsen sollten herausgenommen werden. Ist es zu einer Augenreizung
    gekommen, sollten die Augen mit kaltem Wasser gespült werden. Falls die
    Schmerzen nach etwa einer Stunde nicht deutlich nachlassen, sollte ein Arzt
    wegen des Risikos einer Hornhautschädigung aufgesucht werden.

    4.) Ist Ihrer Ansicht nach Pfefferspray eine chemische Waffe? [Anm.:
    vielleicht besser fragen (?): Gilt Pfefferspray als chemische Waffe?]
    Das Genfer Protokoll verbietet den Einsatz in Kriegen. Im Inneren ist die
    Verwendung von Pfefferspray durch die Polizei gestattet. Erfolgt der Einsatz
    von Pfefferspray gegen Menschen nicht durch die Polizei, gilt dies als
    gefährliche Körperverletzung und ist strafbar.

    5.) Die Polizei in der Türkei rührt Pfefferspray in eine Art flüssiges
    Wasser und setzt es so gegen die Demonstranten in der Türkei ein. Gibt es
    einen Unterschied, wenn Pfefferspray/ Tränengas mit Wasser vermischt wird?
    Ist dies erlaubt?
    Sollte dies zutreffen, halte ich es für kritisch. Durch die Verbindung des
    hohen Wasserdrucks mit der entzündlichen Wirkung des Capsaicins im
    Pfefferspray steigt das Risiko dauerhafter Hornhautverletzungen, wenn
    Demonstranten den Wasserstrahl ins Gesicht bekommen.

    6.) Bei Einsätzen mit Pfefferspray sind in der Türkei Herzinfarkte verstärkt
    aufgetreten und diese haben tödlich geendet. Wie beurteilen Sie diese
    Situation?
    Der Zusammenhang zwischen dem Einatmen von Pfefferspray, Blutdruckkrisen und
    dem erhöhten Risiko von Herzinfarkten ist in der Fachliteratur beschrieben.
    Nur ein sehr kleiner Prozentsatz der gegenüber Pfefferspray exponierten
    Menschen wird tatsächlich schwere gesundheitliche Schäden wie einen
    Herzinfarkt erleiden. Doch wenn Pfefferspray in großem Umfang ausgebracht
    und von vielen Menschen eingeatmet wird, steigt damit auch dieses Risiko.

    7.) Es kursieren Gerüchte in der Türkei, dass die Polizei “Agent Orange”
    einsetzt. Im damaligen Vietnamkrieg hatten die Vereinigten Staates „Agent
    Orange“ eingesetzt? Was ist „Agent Orange“? Welche Auswirkungen/ Gefährdung
    hat dies auf die Gesundheit des Menschen?
    „Agent Orange“ wurde von den USA im Vietnamkrieg zur Entlaubung von Wäldern
    eingesetzt; nicht zu verwechseln mit „Agent Blue“, mit dem die Reisernte
    vernichtet wurde. „Agent Orange“ enthielt Dioxine als Verunreinigung. Diese
    Dioxine haben zu schweren Fehlbildungen bei Kindern,  Krebs und weiteren
    Erkrankungen geführt. Nach Schätzungen des Roten Kreuzes war mindestens eine
    Million Vietnamesen von gesundheitlichen Spätfolgen von Agent Orange
    betroffen. Ich habe Gerüchte über einen vermuteten Einsatz von “Agent
    Orange” in der Türkei im Internet gelesen, verfüge aber über keine sicheren
    Informationen. Mir scheinen diese Gerüchte eher unplausibel. Aus Sicht der
    Polizei kann der Einsatz von Pfefferspray oder CS-Gas zweckmäßig scheinen,
    um Demonstrationen zu verhindern; der Einsatz von  „Agent Orange“ eignet
    sich hier sicher nicht. Denn die Entlaubung von Wäldern macht ja nur im
    Partisanenkrieg Sinn.

    8.) In Bezug auf Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten – wo ist da
    die Grenze, die einzuhalten wäre?
    Mit dieser Frage verlassen wir das Gebiet, zu dem ich als Arzt und
    Toxikologe Stellung nehmen kann. Als Bürger würde ich mir eine Polizei
    wünschen, welche Reizsprays nur dann einsetzt, wenn unmittelbar die Gefahr
    körperlicher Gewalt droht. Bei einer friedlichen Demonstration als auch bei
    der Besetzung eines Platzes sehe ich diese Notwendigkeit nicht. Hier wären
    andere Maßnahmen wichtiger.

    Welche?
    Ein intensiver Dialog; und falls dadurch keine Einigung erzielt werden kann
    eine Volksabstimmung zur strittigen Frage – so wie das zum Beispiel in der
    Schweiz erfolgreich gelebt wird.

    9.) Die Türkei hat in den vergangenen 12 Jahren 628 Tonnen Pfefferspray
    verbraucht, Wie ist der Gebrauch von Pfefferspray in Deutschland? Zudem
    möchte ich gerne folgendes ergänzen: in der Türkei wird in nahezu jeder
    Situation sofort Pfefferspray eingesetzt. Wie ist Ihre Stellungnahme dazu?
    Das sind unglaublich hohe Zahlen. Sofern nicht das Risiko von
    Körperverletzung oder Notwehr gegeben ist, halte ich den Einsatz wegen der
    gesundheitlichen Risiken für unverantwortlich. Leider wird Pfefferspray auch
    in Deutschland eingesetzt. Zahlen sind schwer zu bekommen, denn in
    Deutschland unterliegt der polizeiliche Einsatz von Pfefferspray keiner
    Dokumentationspflicht. Wo immer Reizstoffe gegen friedliche Demonstranten
    eingesetzt werden, ist das ein Armutszeugnis der Politik.

    Prof. Dr. Jan G. Hengstler
    Leibniz Research Centre for Working Environment and Human Factors