„Das ist so etwas wie eine Staatsräson“
Autor Martin Machowecz;Stefan Schirmer
Datum 28.11.2012 – 12:52
Quelle DIE ZEIT
Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder mahnt, den Kampf gegen Neonazis ernst zu nehmen – und nicht zu glauben, es gehe um ein Ost-Problem.
Es ist ein Streit entbrannt ums Geld für die Arbeit gegen Rechtsextremismus. Initiativen wie »Gesicht zeigen!« kritisieren, die Bundesregierung lasse sie im Ungewissen, ob auch künftig ausreichend Mittel für ihre Arbeit bereitstünden; derzeit sind es jährlich 24 Millionen Euro. Dazu ein Gespräch
DIE ZEIT: Sie sind Schirmherr der Initiative »Gesicht zeigen!«. Derzeit ist die Rede davon, dass die Bundesregierung die Mittel für den Kampf gegen Rechtsextremismus einschränken könnte. Wäre dies ein politisches Signal?
Gerhard Schröder: Sollte es so kommen, wäre es in der Tat ein falsches Signal. Die bundesweiten Förderprogramme gegen Rechtsextremismus laufen Ende des nächsten Jahres aus. Wichtig ist jetzt, dass die vielen Bürgerprojekte, die engagiert gegen rechte Gewalt und Antisemitismus ankämpfen, Planungssicherheit für die nächsten Jahre bekommen.
ZEIT: Nimmt die Bundesregierung, nimmt Angela Merkel den Kampf gegen den Rechtsextremismus ernst genug?
Schröder: Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen ist so etwas wie eine Staatsräson. Das hat jede Bundesregierung ernst genommen, und das wird so bleiben. Aber das bedeutet auch, dass man zivilgesellschaftliches Engagement in diesem Bereich fördern muss, denn der Staat allein kann das nicht leisten. Wir müssen extremistische Einstellungen und Haltungen bekämpfen, weil sie die fundamentalen Grundlagen unseres Zusammenlebens infrage stellen. Deshalb ist die Förderung von Maßnahmen und Projekten zur Extremismusprävention so wichtig.
ZEIT: Hat die Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der auch in den Jahren Ihrer Kanzlerschaft mordete, Ihre Sicht auf den Rechtsextremismus verändert?
Schröder: Meine grundsätzliche Sicht auf den Rechtsextremismus hat sich nicht verändert, weil uns schon immer bewusst war, dass diese Ideologie zu Gewalttaten führt. Das haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt. Und deswegen ist das Ankämpfen dagegen so wichtig. Die Aufdeckung dieser Terrorbande hat aber meine Sicht auf die Arbeitsweise unserer Sicherheitsbehörden verändert, weil es für mich unvorstellbar war, dass eine Gewaltwelle dieses Ausmaßes unerkannt bleiben kann.
ZEIT: Immer wieder, wie etwa bei Ihrem Krisenmanagement während der Elbeflut 2002, haben Sie gesagt, dass Sie angerührt sind von den Menschen in Ostdeutschland. Warum, glauben sie, ist der Rechtsextremismus in den neuen Ländern immer noch so ein Problem?
Schröder: Na ja, die Elbeflut und der Rechtsextremismus sind zwei unterschiedliche Dinge, die ich auch gar nicht miteinander in Verbindung bringen will und kann. Ich glaube, dass wir bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht in Ost-West-Kategorien denken sollten. Es ist ein gesamtdeutsches Problem, für dessen Bekämpfung wir alle Verantwortung tragen, egal ob wir im Osten oder Westen leben, auch egal, in welcher demokratischen Partei wir aktiv sind.
ZEIT: Wie lange wird es dauern, bis dieses Problem überwunden ist?
Schröder: Ich befürchte, dass es immer einen Bodensatz geben wird, der für extremistisches Gedankengut offen ist. Aber den Nährboden dafür muss man möglichst gering halten. Das ist nicht nur eine Aufgabe etwa der Polizei oder des Verfassungsschutzes, sondern auch der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik.
ZEIT: Was hat Sie damals dazu bewogen, die Schirmherrschaft für die Initiative »Gesicht zeigen!« zu übernehmen?
Schröder: Ich habe diese in Nachfolge von Johannes Rau gern übernommen, weil ich die Ziele der Aktion, den Kampf gegen rechte Gewalt und das Eintreten für ein weltoffenes Deutschland, für ungemein wichtig halte. Außerdem haben mich die Arbeit des Vereins, das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Vielfalt und Originalität ihrer Projekte überzeugt. Diese Arbeit betrifft uns alle, fordert den Staat und die ganze Gesellschaft.
via Rechtsextremismus: „Das ist so etwas wie eine Staatsräson“ – ZEIT ONLINE mobil.