Foto: AP/DAPD Voller Rührung betet ein Mann in der „Kirche zum Heiligen Kreuz“. Seit fast 100 Jahren gab es keinen christlichen Gottesdienst mehr in der Region
19.09.10|
Aussöhnung
Erstmals armenischer Gottesdienst in der Türkei
Vor fast 100 Jahren verübten die Türken einen Völkermord an den Armeniern. Auf der türkischen Insel Akdamar gab es erstmals eine Geste der Versöhnung.
Tausende Armenier haben im ostanatolischen Van am Sonntag ihren ersten Gottesdienst in der Region seit fast einem Jahrhundert gefeiert. „Es war eine ganz wunderbare Feier“, sagte Bischof Aram Atesyan, Vize-Patriarch und amtierendes Oberhaupt der armenischen Kirche in der Türkei, im Anschluss.
An dem Gottesdienst in der rund 1000 Jahre alten Heilig-Kreuz-Kirche auf der Insel Akdamar im Van-See nahmen rund 4000 Menschen teil – überwiegend armenische Besucher aus Istanbul, Armenien, dem Nahen Osten, den USA und Europa. Auch kurdische und türkische Bewohner von Van sowie internationale Ehrengäste waren anwesend, darunter der deutsche Botschafter Eckart Cuntz.
Weil die rund 1000 Jahre alte Kirche nur 50 Personen fasst, wurde die Feier nach außen übertragen. Die aus dem 10. Jahrhundert stammende Heilig-Kreuz-Kirche war in den vergangenen Jahren von der türkischen Regierung restauriert und 2007 fertiggestellt worden.
Im historisch stark armenisch geprägten Van leben seit der Vertreibung der Armenier im Ersten Weltkrieg keine Angehörigen dieser Volksgruppe mehr. Bis 1915 machten die Armenier in der Stadt fast die Hälfte der Bevölkerung aus. Insgesamt fielen in Anatolien mehrere hunderttausend Menschen den Pogromen zum Opfer; Armenien und viele westlichen Staaten stufen dies als Völkermord ein. Vor drei Jahren erschossen türkische Rechtsextremisten den armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink, weil er von einem Völkermord gesprochen hatte. Verbände und Gruppen in Van begreifen den Gottesdienst nun als Chance für eine Aussöhnung.
„Die örtliche Bevölkerung hat sich mit uns gefreut, und ich danke ihr dafür“, sagte Bischof Atesyan über die rege Anteilnahme der heute durchweg muslimischen Bevölkerung von Van. Viele hatten den armenischen Besuchern ihre Häuser und Gästezimmer zur Verfügung gestellt. Atesyan dankte auch der türkischen Regierung, dass sie die Kirche als Kulturdenkmal restauriert und die Feier genehmigt hatte. Künftig soll dort alljährlich im September ein Gottesdienst stattfinden.
„Manche meinten, wir würden unseren Gottesdienst allein feiern müssen“, sagte Bischof Ateyan in Anspielung auf einen Boykottaufruf der armenischen Kirche von Armenien. Diese hatte ihre Teilnahme kurz vorher abgesagt, weil die türkischen Behörden ein vom armenischen Patriarchat in Istanbul gestiftetes Kreuz nicht mehr rechtzeitig auf die Kuppel der Kirche gesetzt hatten. Das 110 Kilo schwere und zwei Meter hohe Kreuz stand am Sonntag am Boden vor der Kirche und soll in den nächsten Wochen aufgesetzt werden. „Wir sind aber in unseren Gebeten nicht allein“, fügte Atesyan mit Blick auf die rege Teilnahme von Gästen aus aller Welt hinzu.
Zu den Besuchern in Van zählte auch der weltbekannte armenische Sahan Arzruni, der am Vorabend des Gottesdienstes in Van ein Konzert mit Werken armenischer und türkischer Komponisten gab. Dagegen fehlte Mesrob II. Der armenische Patriarch der Türkei hatte vor drei Jahren die Erlaubnis für den Gottesdienst von der türkischen Regierung erbeten. Seither ist er jedoch schwer erkrankt und nicht mehr amtsfähig.
Im August hatte die türkische Regierung den griechisch-orthodoxen Christen erstmals seit fast 90 Jahren einen Gottesdienst im Sümela-Kloster in Nordostanatolien erlaubt. Ein von griechisch-orthodoxen Christen aus den USA angekündigter Gottesdienst in der Istanbuler Hagia Sophia hingegen wurde von den türkischen Behörden als Provokation eingestuft und verhindert.
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