Ministerpräsident Erdogan wird den Ministerrat heute um 13 Uhr bekannt geben.
Posted 06.07.2011 06:47:20 UTC
Updated 06.07.2011 06:47:20 UTC
Ministerpräsident Erdogan wird die Kabinettsliste heute um 12 Uhr im Palais Cankaya dem Staatspräsidenten vorlegen. Wenn die Liste von Abdullah Gül ratifiziert wird, soll es um 13 Uhr auf einer Pressekonferenz im Ministerpräsidium der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden.
Die Liste von 26 Ministern, inklusive Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wurde gestern im Exekutiverat der AK-Partei unter Vorsitz von Erdogan noch ein letztes Mal besprochen. Weitere Tagesordnung des Treffens im höchsten Parteiorgan war das neue Regierungsprogramm, das nach der Bekanntgabe des Ministerrats, im Parlament verlesen wird.
Die Grundlage des Regierungsprogramms bilden unter anderem Überschriften wie die neue Verfassung, schnelle Gerichtsprozesse sowie das Nationale Einheits- und Verbrüderungsprojekt.
via TRT-Deutsch Erdogan wird die Kabinettsliste bekannt geben.
Die türkische Wirtschaft wächst, das Land ist zum regionalen Knotenpunkt geworden. Einzig der konservative Nationalstolz droht die Modernisierung des Landes zu behindern.
Recep Tayyip Erdogan und die AKP haben die Wahlen zur Großen Nationalversammlung am 12. Juni 2011 mit großer Mehrheit gewonnen. Die bewährte Politik des wirtschaftlichen Wachstums und der Förderung einer immer stärker bildungsnahen Mittelklasse wird fortgeführt werden. Es ist gerade diese anatolische aufstrebende Mittelklasse, die Erdogan unterstützt. Sie ist auch Nutznießer des eindrucksvollen wirtschaftlichen Aufschwungs. Konservativ, im muslimischen Glauben fest verwurzelt und gleichzeitig nationalstolz prägt sie das Bild der heutigen Türkei.
Es nicht zu befürchten, dass Erdogan seine erneuerte Macht ausnutzen wird, um aus der Türkei eine islamische Republik zu machen. Unbestreitbar wird aber der Islam ein wichtiger Identitätsfaktor für die Türken bleiben. Man ist stolz darauf, eine islamische Demokratie zu sein. Die Gefahr ist allerdings, dass Erdogan zunehmend autoritär regieren wird. Auch die angestrebte Verfassungsänderung mit dem Ziel einer präsidialen Demokratie zeigt deutlich, dass die AKP auf ihrem nationalistischen Kurs beharren wird.
Beeindruckender Wirtschaftsboom
Der Wirtschaftsboom in der Türkei, inzwischen 17. Wirtschaftsmacht weltweit – mit einer Wachstumsrate von 8,9 Prozent im vergangenen Jahr – ist beeindruckend. Die Türkei als Brücke von Europa nach West- und Zentralasien ist eine bedeutende Regionalmacht geworden, die zugleich fest in der Nato verankert ist und eine konstruktive Rolle spielt in einer auf gute Nachbarschaft ausgerichteten Außenpolitik. Dass dieses nicht immer ein Nullsummen-Spiel ist, zeigen die Ereignisse in Syrien, zu dem die Türkei ein gutes Nachbarschaftsverhältnis entwickelt hatte. Nachdem Erdogan ergebnislos versucht hat, die syrische Führung auf einen friedlichen Kurs zu bringen, verurteilt er inzwischen das menschenverachtende Vorgehen der syrischen Regierung und ihres Machtapparates gegenüber den protestierenden Menschen scharf und hat die Grenze der Türkei für Flüchtlinge geöffnet. Die Türkei ist bereit, bei den Konflikten in Libyen und den arabischen Revolutionen in Tunesien und Ägypten eine Vermittler- und Helferrolle zu spielen. Das Gleiche gilt auch für Afghanistan und Pakistan. In beiden Ländern erfreut sich die Türkei eines hohen Ansehens. Kann die Türkei hier ihre Vorbildfunktion als funktionierende islamische Demokratie ausbauen? Es bleibt zu hoffen.
Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bleibt nach wie vor politisches Ziel der Türkei. Aufgrund ihres gewachsenen Selbstbewusstseins wird sich die Türkei nicht ewig in die Schlange der Bittsteller einreihen. Die Krisen in der EU, insbesondere die Finanzkrise um Griechenland, machen den Beitritt für eine boomende Türkei nicht gerade attraktiver. Pauschale Absagen, wie sie von Sarkozy geäußert wurden, sind fehl am Platz. Sicherlich hat die Türkei gerade in ihrer Religions- und Minderheitenpolitik noch weitere Schritte zu unternehmen für einen besseren Minderheitenschutz und einen wirklichen Pluralismus. Vor allem aber muss sie sich in der Zypernfrage bewegen.
Nicht so sehr der Islam ist einem Beitritt hinderlich, sondern mehr ein sich immer stärker ausprägender konservativer Nationalstolz, der das Mitspielen im europäischen Orchester zunehmend erschweren wird. Es bleibt zu hoffen, dass Erdogan in seiner neuen Amtszeit die notwendige Flexibilität und Toleranz beibehält und es nicht auf der Grundlage des Erfolgs zu einer konservativen Erstarrung des Systems kommt.
Gunter Mulack
Seit 2008 leitet Mulack das Deutsche Orient-Institut in Berlin. Er kennt die arabische Welt aus eigener Erfahrung: Von 2002 bis 2005 war Mulack Beauftragter des Auswärtigen Amtes für den Dialog mit der islamischen Welt, von 2005 bis 2008 war er Botschafter in Islamabad. Der diplomatische Dienst führte den Juristen unter anderem als Botschafter nach Damaskus, Kuwait und Bahrain und in die politische Abteilung des Auswärtigen Amtes. Mulack spricht Deutsch, Englisch, Französisch, Arabisch und Spanisch.
via Die Türkei nach den Wahlen: Boom am Bosporus – The European – FOCUS Online.
Die Wahlen sind gelaufen und bescherten dem türkischen Premierminister Recep Erdogan eine deutliche Mehrheit. Nun muss er beweisen, dass er den wirtschaftlichen Erfolgskurs halten kann. Und genau das wird schwieriger – nicht zuletzt wegen des „heißen Geldes“.
Istanbul/Hamburg – Die Zahl, auf die alle gewartet hatten, wurde vor einer Woche um kurz vor 23 Uhr vermeldet – auf etwas über 49 Prozent kam die Partei Recep Erdogans. Nicht das Wahlergebnis, was der türkische Premierminister sich für seine AKP erhofft hatte. Aber auch nicht das Wahlergebnis, was Gregor Holek befürchtet hatte.
Holek ist Fondsmanager bei Raiffeisen Capital und verantwortet mit dem Emerging Markets Equities einen Fonds, der das Geld seiner Anleger auch in der Türkei investiert. „Die politische Stabilität ist, wie erwartet, gesichert“, sagt er mit Blick auf die Wahl vor einer Woche. „Kontinuität und Berechenbarkeit sind wichtige Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung von Schwellenländern.“ An der Börse zumindest wurde dieses Ergebnis erwartet – entsprechend hat sie kaum auf den Wahlsieg der AKP reagiert.
Die Zweidrittelmehrheit hat der Politiker also verfehlt. Sie war es gewesen, die auch Politwissenschaftler Atilla Yesilada befürchtet hatte. Denn, so seine Argumentation, dann hätte Erdogan freie Hand gehabt, die Verfassung zu ändern und eine Art Präsidialdemokratie zu errichten. Das ist ihm mit diesem Wahlergebnis nicht möglich. Und er kann sich den türkischen Problemen widmen.
Von denen gibt es mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Denn all das, was die Türkei bislang ausgezeichnet hat, könnte ihr nun zum Verhängnis werden. Zum Beispiel das Wirtschaftswachstum des Jahres 2010 – um 9,2 Prozent wuchs die Wirtschaftslistung des Landes. Solche Zahlen sorgen dafür, dass viele Investoren auf das Land aufmerksam wurden und immer noch werden.
Und entsprechend schwappt einiges Geld in die Türkei, genauer, heißes Geld. Geld also, das ebenso schnell wieder abgesogen wird wie es in ein Land strömt.
Auch eine andere Facette des Wachstums könnte die Türkei bedrohen. Denn ein stetig steigender Binnenkonsum kann eine steigenden Inflation nach sich ziehen. Dabei ist eine robuste Binnennachfrage etwas, was ein Wirtschaftsgefüge grundsätzlich gegen exogene Schocks immunisiert. Das zeigte sich daran, wie die Türkei durch das Kabbelwasser der Finanzkrise pflügte – es war der Binnenkonsum, der es dem Land ermöglichte, Kurs zu halten. Denn die Türkei ist jung; der Altersdurchschnitt der Bevölkerung liegt aktuell bei 28 Jahren. Und junge Menschen neigen eher dazu, Geld auszugeben als ältere.
Außerdem hat das Land einen erheblichen Nachholbedarf. Während in Deutschland mehr als 500 von 1000 Menschen ein Auto besitzen, sind es in der Türkei nur etwas über 100. Private Schulden sind des weiteren in der Türkei längst nicht so verbreitet wie im Westen. Im Schnitt der Eurozone sind die Haushalte in Höhe von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, in der Türkei liegt diese Quote bei rund 10 Prozent. Das ist gut für den Binnenkonsum – eines Binnenkonsums, von dem sogar „annähernd alle Branchen profitieren“, wie Aziz Unan in einem Bericht schreibt. Unan ist, ebenso wie Holek, Fondsmanager und verwaltet den Griffin Ottoman Fund. Doch der steigende Binnenkonsum kann auch in Inflation münden. Das sieht auch Fondsmanager Holek so. „Die Rohstoffabhängigkeit sowie die weiterhin sehr dynamische Binnennachfrage bleiben Risikofaktoren für die längerfristige Preisstabilität.“
via Türkei-Investments: Nach der Wahl ist vor der Wahl – manager-magazin.de – Finanzen.
Ministerpräsident Erdogan kann auch in den kommenden vier Jahren die Türkei mit einer klaren Mehrheit im Parlament regieren. Die EU mahnt bereits Reformen an, dazu gehört auch eine neue Verfassung. Um die im Alleingang durchsetzen zu können, fehlt der islamisch-konservativen AKP jedoch eine Handvoll Sitze. Trotz des historischen Wahlsiegs braucht Erdogan nun die Verlierer.
Die religiös-konservative AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat die Parlamentswahl in der Türkei gewonnen. Nach Auszählung aller Stimmen lag die AKP mit 49,9 Prozent klar vorne. Sie erhalte damit 326 Mandate in dem 550 Sitze zählenden Parlament, berichteten türkische Fernsehsender. Bei der Wahl 2007 hatte die AKP 46,5 Prozent erreicht.
Nach dem Wahlsieg erwartet die EU von Erdogan weitere Reformen. Dazu gehöre die Arbeit an einer neuen Verfassung, teilten der ständige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso mit.
„Die (Wahl-)Ergebnisse ebnen den Weg zur weiteren Stärkung der demokratischen Institutionen der Türkei und zur fortgesetzten Modernisierung des Landes – im Einklang mit europäischen Werten und Standards“, so die beiden EU-Spitzen. Van Rompuy und Barroso bauen auch auf mehr Vertrauen zwischen dem Kandidatenland Türkei und den 27 Mitgliedsländern. Das könne mehr Schwung in die Beitrittsverhandlungen mit dem Anwärter bringen. Die Gespräche kommen seit längerem wegen diverser Blockaden nicht richtig von der Stelle.
Bei der Wahl legte die sozialdemokratische CHP als größte Oppositionspartei auf 25,9 Prozent zu und wird 135 Abgeordnete stellen. Die rechtsnationalistische MHP kam auf 13 Prozent, was im Parlament 53 Sitzen entsprechen wird. Die Kurdenpartei BDP wird mit 36 Abgeordneten vertreten sein. Sie scheiterte mit rund 6 Prozent zwar an der Zehnprozenthürde, hatte ihre Politiker aber als unabhängige Kandidaten ins Rennen geschickt, um diese Hürde zu umgehen.
Zweidrittelmehrheit verfehlt
Erdogan kann nun auch die kommenden vier Jahre das Land mit einer klaren Mehrheit im Parlament regieren. Er hatte allerdings auf eine Zweidrittelmehrheit für seine AKP gehofft. Mit einer Mehrheit von 367 Abgeordneten hätte er dem Land praktisch im Alleingang eine neue Verfassung geben können. Eine Mehrheit von 330 Stimmen reicht nur, wenn eine neue Verfassung in einem dann nötigen zweiten Schritt per Referendum bestätigt wird. Einen größeren Erfolg der AKP verhinderte unter anderem das starke Abschneiden pro-kurdischer Kandidaten in den Kurden-Gebieten.
Der Auftrag der Wähler sei es, eine neue Verfassung im Konsens zu erarbeiten, sagte Erdogan in seiner Siegesrede am späten Sonntagabend vor jubelnden Anhängern in Ankara. „Wir werden mit den Oppositionsparteien die neue Verfassung diskutieren.“ Erdogan hat angekündigt, die Verfassung solle auf demokratischen und pluralistischen Prinzipien beruhen und das Land der Europäischen Union näher bringen.
„Jeder wird Bürger erster Klasse sein“
„Die Botschaft ist, dass wir dies zusammen mit den anderen Kräften machen sollen“, sagte Erdogan. „Wir werden auch die Parteien anhören, die nicht im Parlament vertreten sind. Wir werden die umfangreichsten Verhandlungen führen“, versprach der Regierungschef. „Jeder wird Bürger erster Klasse sein.“
Der 57-jährige Erdogan ist seit 2003 Regierungschef und der beliebteste Politiker der Türkei. In dieser Zeit hat das Land ein starkes Wirtschaftswachstum vorgelegt, mit einem Anstieg von 8,9 Prozent im vergangenen Jahr. Unter Erdogans Führung bemüht sich das Land auch um eine Mitgliedschaft in der EU, war dabei aber kaum noch vorangekommen. Investoren sehen in der AKP die Partei, die am deutlichsten einen marktwirtschaftlichen Kurs fährt. Kritiker bemängeln an Erdogan einen autoritären Führungsstil.
Erdogans politische Gegner sehen einen möglichen weiteren Machtzuwachs der AKP mit Sorge. Sie erwarten, dass die AKP die Arbeit an einer neuen Verfassung auch zur Zementierung ihrer Macht nutzen wird. In Deutschland kritisierte die CSU die wachsende Distanz Ankaras zu Europa. So zeigte sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann auf Grund der Erfolge Erdogans und der Ultranationalistischen MHP besorgt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte Erdogan dagegen. „Das Ergebnis reflektiert den Erfolg Ihrer in den letzten Jahren konsequent vorangetriebenen Modernisierungspolitik“, schrieb die CDU-Politikerin in ihrem Glückwunschschreiben. Andere Politiker äußerten sich auf Grund der verfehlten Zweidrittelmehrheit erleichtert.
Grünen-Chefin Claudia Roth zeigte sich erfreut über den Wahlausgang. Roth sagte MDR Info, Erdogan habe einen großen Sieg errungen, der aber auch eine Niederlage berge. Das selbstgesteckte Ziel der Zweidrittelmehrheit habe er deutlich verfehlt. Das Wahlergebnis sei darum vor allem für Erdogans Gegner „eine Beruhigung, die Angst hatten vor einem Größenwahn, den Erdogan doch in der letzten Zeit häufiger gezeigt hat“.
Der Türkei-Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion, Dietmar Nietan, erklärte, Erdogan müsse in seiner dritten Amtszeit beweisen, dass er weiterhin willens und in der Lage ist, die Türkei entscheidend in Richtung demokratischer Reformen und damit in Richtung Europa zu führen.
Für die kommenden Jahre hat Erdogan zumindest große Projekte angekündigt. In Istanbul will er zwei neue, erdbebensichere Vorstädte bauen und einen Kanal zwischen dem Schwarzen Meer und dem Marmarameer. Dieser soll den Bosporus entlasten. Zudem sollen praktisch zinsfreie Kredite Geschäftsleuten Investitionen und Familien den Kauf von Häusern möglich machen. Bis 2023 soll sich die Wirtschaftskraft der Türkei verdreifachen, so das erklärte Ziel der AKP.
Mehr als 52 Millionen registrierte Wähler waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Um die Gunst der Wähler bewarben sich 15 Parteien und 203 unabhängige Kandidaten, von denen viele der Kurdenpartei BDP zuzurechnen sind. Unter den Wahlberechtigten sind etwa 2,5 Millionen Menschen, die zur Stimmabgabe bereits seit einigen Wochen in die Türkei reisen konnten. Für sie wurden an Flughäfen Wahlurnen aufgestellt.
Leyla Zana ist gewählt
Auch die legendäre Kurdenpolitikerin Leyla Zana kehrt in die Volksvertretung von Ankara zurück. Zana errang in der südostanatolischen Privonz Diyarbakir ein Direktmandat, wie türkische Nachrichtender meldeten. Anfang der 1990er Jahre war Zana als frisch gewählte Abgeordnete aus dem Parlament geworfen und ins Gefängnis gesteckt worden, weil sie bei der Vereidigung Kurdisch sprach.
Zana kam erst 2004 aus der Haft frei und zog sich zunächst aus der Öffentlichkeit zurück. Seit einigen Jahren ist sie wieder politisch aktiv. Kurz vor der Wahl sollte sie auf Beschluss der Wahlkommission von der Kandidatur ausgeschlossen werden; nach Protesten aus allen Parteien wurden die Kandidaturen von Zana und anderen Kurdenpolitikern aber wieder zugelassen. Zana trat als nominell unabhängige Kandidatin mit Unterstützung der BDP an.
Christ erringt Mandat
Auf demselben Weg wurde auch der erste christliche Parlamentsabgeordnete der Türkei seit einem halben Jahrhundert gewählt. Der Anwalt Erol Dora, ein Mitglied der syrisch-orthodoxen Christen, gewann als unabhängiger Kandidat mit BDP-Unterstützung ein Direktmandat in der Provinz Mardin. Seit einem armenischen Politiker in den 1960er Jahren hat kein Christ mehr im türkischen Parlament gesessen. Mitte der 1990er Jahre wurde ein jüdischer Abgeordneter gewählt; seitdem gab es nur noch muslimische Parlamentsabgeordnete in Ankara.
Nach dem Wahlsieg des Ministerpräsidenten Recep Tayyib Erdogan in der Türkei, fordern führende Unions-Politiker Erdogan dazu auf, sich künftig mehr an Europa zu orientieren. Es gelte zu verhindern, dass die Türkei in einen übersteigerten Nationalismus oder auf islamistische Abwege verfällt. Dabei gebe es auch eine Verantwortung der EU gegenüber der Türkei.
Führende Unions-Politiker haben den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyib Erdogan nach seinem Wahlsieg aufgefordert, sich künftig wieder mehr an Europa zu orientieren. „Die Türkei ist Teil einer europäischen Wertegemeinschaft. Wir erwarten, dass sie das auch bleibt“, sagte Fraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ (Dienstagausgabe).
„Für die Türkei gibt es zwei Versuchungen: einen übersteigerten Nationalismus und islamistische Abwege. Die gilt es zu verhindern“, sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz.
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Der CDU-Politiker sieht auch die EU in der Verantwortung. „Wenn man die Sorge hat, dass sich die Türkei von Europa entfernt, muss man alles dafür tun, dass das nicht geschieht. Auch die EU hat eine Verantwortung gegenüber der Türkei“, sagte Polenz. „Es gibt immer wieder türkei-kritische Äußerungen von europäischen Politikern. Die sind natürlich kontraproduktiv.“
gxs/dapd
via Türkei: Nach Wahlsieg Aufforderung an Erdogan sich mehr an Europa zu orientieren – Weitere Meldungen – FOCUS Online.
Von einer Europa-Euphorie wie zu Beginn der Beitrittsverhandlungen vor sechs Jahren ist in der Türkei wenig übrig geblieben. Der EU-Beitrittsprozess ist in einer Sackgasse, Europa hat für die Türken keine Priorität.
Je näher der Wahltermin am 12. Juni rückt, desto lauter werden die Wahlkampf-Kundgebungen der Parteien, die sich Hoffnungen auf einen Einzug ins türkische Parlament machen. Bei ihrem Schlagabtausch konzentrieren sich die Parteien jedoch eher auf Themen wie Korruption, Unregelmäßigkeiten bei landesweiten Aufnahmeprüfungen der Universitäten oder auf einige über Youtube verbreiteten obszönen Videos mit führenden Vertreter der rechtsextremistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) von Devlet Bahceli. Keine einzige Partei nimmt das Wort EU in den Mund, niemand erläutert seine Haltung zum zumindest offiziell immer noch obersten Ziel der türkischen Außenpolitik, der EU-Mitgliedschaft.
Die Generalsekretärin der auf Europafragen spezialisierten Stiftung für Wirtschaftliche Entwicklung in Istanbul, Cigdem Nas, führt das auf das Fehlen einer EU-Perspektive bei den Parteien zurück. „Wir sehen, dass die türkische Öffentlichkeit am Thema EU und den Beitrittsbemühungen das Interesse verloren hat“, sagt sie, „das Thema EU ist im Wahlkampf von anderen Dingen überlagert worden. Vielleicht liegt das daran, dass die Beitrittsverhandlungen ins Stocken geraten sind oder andere große Probleme überwunden werden müssen, glaubt Cigdem Nas.
Zypern-Konflikt als Bremse
Prof. Cigdem Nas, Generalsekretärin der Stiftung für Wirtschaftliche Entwicklung in IstanbulBildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Prof. Cigdem Nas, Generalsekretärin der Stiftung für Wirtschaftliche Entwicklung in Istanbul
Die Beitrittsverhandlungen gerieten vor allem wegen des Zypern-Konflikts ins Stocken. Nas zufolge habe die türkische Öffentlichkeit das Vertrauen in die EU verloren. Der Hintergrund sei, dass in der türkischen Wahrnehmung der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Anti-Türkei-Front anführe.
Der Vorsitzende der Stiftung Türkei-Europa, Ziya Müezzinoglu, macht Vorurteile, die auf beiden Seiten herrschen, dafür verantwortlich, dass die Zustimmung für einen EU-Beitritt in der Türkei abgeschwächt sei. „Wir sehen einerseits, dass in den EU-Ländern einige Vorurteile gegen die Türkei immer noch nicht ausgeräumt worden sind. Manche EU-Länder führen die Beitrittsverhandlungen in die Sackgasse, indem kulturelle und religiöse Unterschiede in den innenpolitischen Auseinandersetzungen als Argumente gegen die Türkei benutzt worden sind. Andererseits gibt es aber auch in manchen Kreisen in der Türkei Vorurteile gegen die EU. So wird die EU als ein Christen-Club gesehen“, sagt Müezzinoglu.
Neue Orientierung der Türkei
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will sich stärker in Richtung Naher Osten orientierenBildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will sich stärker in Richtung Naher Osten orientieren
Während die Beitrittsverhandlungen stillstehen, versucht die Türkei eine Vorreiterrolle im Nahen Osten zu übernehmen. Zudem vergrößern die Aufstände in den arabischen Ländern die Bedeutung der Türkei. Die Europaexpertin Nas glaubt, dass der Außenminister Ahmet Davutoglu die Türkei durch eine aktivere Rolle in der Region attraktiver für Europa machen wolle. Sehr viel werde aber am Ende von den Wahlergebnissen abhängen, sagt sie: „Wenn die konservative Partei AKP von Ministerpräsident Erdogan einen hohen Stimmenanteil erzielt, werden ihre Bemühungen, die eigene Existenz zu rechtfertigen, in den Hintergrund treten. Wenn sie aber weniger Stimmen bekommt als erwartet, wird für sie das EU-Ziel wieder wichtiger werden. Die AKP hat in der Vergangenheit eine EU-Mitgliedschaft unterstützt, um denjenigen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die der Partei Islamismus und eine getarnte Agenda unterstellt hatten – als ob die AKP sagen wollte: ‚Wir arbeiten für die EU.’“
Die Parlamentskandidaten der AKP sind jedoch der Auffassung, dass ihre Partei vom EU-Ziel nach wie vor nicht abgewichen sei. Die Kandidatin aus Istanbul, Belma Satir, betont: „Ich bin ein Mitglied des Teams, das in den Gründungstagen der AKP das Parteiprogramm mitgestaltet hat. Die EU ist in unserem Parteiprogramm unser wichtigstes Thema.“
Autorin: Hülya Köylü
Redaktion: Zoran Arbutina
via EU ist kein Wahlkampfthema in der Türkei | Europa | Deutsche Welle | 10.06.2011.
Die Türkei hat die Wahl – zwischen der Demokratie nach westlichen Normen und einer islamistisch-faschistischen Mentalität.
Bei der am 12. Juni 2011 anstehenden Parlamentswahl in der Türkei geht es für die Regierungspartei AKP in erster Linie sicherlich nicht um die Etablierung demokratischer Verhältnisse in der türkischen Gesellschaft nach westlichen Normen. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan möchte eine vollständig neue Verfassung verabschieden und eine Herrschaft etablieren, die eine Kombination aus islamistischer und faschistischer Mentalität darstellt.
Foto: AFP Türkische Polizisten in Zivil nehmen einen Aktivisten fest: Unter Premierminister Erdogan hat sich die Lage der Menschenrechte in der Türkei nach Meinung seiner Kritiker zum Nachteil verändert
Diese Mentalität setzt sich in der gesamten Türkei durch, die Gesellschaft wird zunehmend konservativer, geschlossener und anti-westlicher. Die Regierung Erdogan hat die Türkei in den vergangenen acht Jahren vom Westen gelöst und führt sie in eine völlig neue Phase. Das Land wird komplett umgewandelt und verdrängt Frauen, religiöse und kulturelle Minderheiten, Intellektuelle sowie Denker, Künstler und Umweltaktivisten und ihre Belange massiv aus der Öffentlichkeit.
Auch die westlichen Teilen der Türkei, die bis Anfang des neuen Jahrtausends als modern, tolerant oder offen galten, wurden in den letzten Regierungsjahren der AKP so gewaltig umgewandelt, dass dort ähnliche Verhältnisse herrschen wie zum Beispiel in Pakistan oder in Afghanistan. Immer mehr Frauen werden aus dem öffentlichen und sozialen Leben verbannt und vollständig verschleiert, was fatale Folgen für sunnitische Frauen und Mädchen im Kindesalter auch in Deutschland hat.
Erdogans Demokratie – Demokratie ohne Opposition
Wer an der Vorgehensweise oder Regierungsarbeit von Tayyip Erdogan Kritik ausübt, ein Buch oder einen Aufsatz schreibt, wird sofort zum Putschisten erklärt. Kritik und Opposition werden nicht geduldet. Demonstrierende Studenten und Intellektuelle landen reihenweise im Gefängnis. Journalisten werden verhaftet, weil sie kritische Bücher und Aufsätze schreiben. Die Türkei wird unter der Führung von Tayyip Erdogan von Tag zu Tag autoritärer und wandelt sich zum Polizeistaat.
Die türkische Öffentlichkeit ist mittlerweile davon überzeugt, dass die türkische Polizei überwiegend vom „Imam Fetullah Gülen“ kontrolliert und gesteuert wird. Daher handelt die türkische Polizei laut zahlreichen Studien, Berichten und Meinungen von namhaften Kreisen im Auftrag der Regierung und der religiöse Sekte „Fetullah Gül Bewegung“. So werden in der Türkei seit etwa einem Jahr namhafte Persönlichkeiten auf der Oppositionsseite mit lancierten Sexvideos gezielt geschwächt.
Diese Politiker stolperten über Sex-Skandale
IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn ist bei weitem nicht der erste Politiker, der sich Vorwürfen sexueller Verfehlungen ausgesetzt sieht:
BILL CLINTON
Der damalige US-Präsident wurde von der Staatsangestellten Paula Jones beschuldigt, er habe sie 1991, als er Gouverneur von Arkansas war, in einem Hotelzimmer sexuell belästigt. Sie verlangte zwei Millionen Dollar Schadenersatz und …
… eine ausdrückliche Entschuldigung des US-Präsidenten, was dieser entschieden ablehnte. Die Klage wurde im April 1998 abgewiesen.
Im August 1998 gestand Clinton, eine „unangemessene Beziehung“ mit der Praktikantin Monica Lewinsky gehabt zu haben. Ihm wurde Falschaussage im Fall Paula Jones und Behinderung der Justiz in der Lewinsky-Affäre vorgeworfen.
Im Februar 1999 wurde Clinton in einem Amtsenthebungsverfahren freigesprochen.
SILVIO BERLUSCONI
Italiens Regierungschef steht im Mittelpunkt zahlreicher Sexaffären. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 74-Jährigen Begünstigung der Prostitution von Minderjährigen sowie Amtsmissbrauch vor.
Berlusconi soll im vergangenen Jahr die damals minderjährige Marokkanerin Karima el Mahroug alias Ruby Rubacuori bei Partys in seiner Villa in Arcore für Sex bezahlt haben.
Im vergangenen Mai setzte er laut Staatsanwaltschaft durch, dass die wegen Diebstahls festgenommene Nachtklub-Tänzerin freigelassen wurde.
MOSCHE KATZAV
Der damalige israelische Präsident musste im Juni 2007 wegen eines Sexskandals zurücktreten. Im Dezember vergangenen Jahres wurde er wegen zweifacher Vergewaltigung einer ehemaligen Mitarbeiterin und …
… sexueller Belästigung zweier weiterer Angestellter während seiner Amtszeit als Tourismusminister und während seiner Präsidentschaft zu sieben Jahren Haft sowie zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Katzav weist alle Vorwürfe zurück und ging in Berufung.
CANAAN BANANA
Simbabwes Ex-Präsident wurde im Mai 2000 wegen „Sodomie und anderer Sexualvergehen“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Er soll die Straftaten während seiner Präsidentschaft von 1980 bis 1987 begangen haben. Im Januar dieses Jahres kam er vorzeitig aus der Haft frei.
ANWAR IBRAHIM
Dem früheren malaysischen Vize-Regierungschef und späteren Oppositionsführer drohen in einem laufenden Verfahren wegen homosexueller Beziehungen mit einem Ex-Mitarbeiter bis zu 20 Jahre Gefängnis.
Homosexualität ist im muslimischen Malaysia illegal. Anwar war bereits Ende der 90er Jahre wegen Homosexualität und Betrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.
JACOB ZUMA
Der heutige südafrikanische Präsident wurde im Mai 2006 von dem Vorwurf freigesprochen, 2006 eine HIV-positive Frau vergewaltigt zu haben.
Quelle: AFP
Am 1. Juni 2001 wurde ein pensionierter Lehrer und Umwelt-Aktivist Opfer der Polizeigewalt als er bei einer Kundgebung Erdogans in der Schwarzmeerstadt Hopa in Tränengasschwaden starb. MIttlerweile geht die Polizei überall mit massiver Gewalt gegen Anti-Erdogan-Demonstranten vor. So werden alle Telefonate des ganzen Landes von Sonderpolizisten abgehört und fast jedes Haus durchsucht, wo ein Oppositioneller vermutet wird.
Die Haltung des Westens und die Zukunft der Türkei
Es muss nicht nur im Interesse des türkischen Volkes, sondern auch des Westens liegen, eine verfassungsändernde Mehrheit der Regierungspartei unter der Führung von Erdogan auf alle Fälle zu verhindern. Erdogan und seine Partei haben keine demokratische, sondern eine islamistische Vergangenheit, welche nach wie Grundlage der AKP-Politik ist. Und diese Politik hat nicht gelernt, dass die Verfassung eines Landes im Grunde genommen einen Konsens darstellt.
Umfrage
Sollte die Türkei der EU beitreten?
1095 abgegebene Stimmen
Umfrage
Wie das jüngste Beispiel mit der Volksabstimmung vom 12. September 2010 gezeigt hat, ging es für Erdogan und seine AKP nicht um die Etablierung der Demokratie, wie es fälschlicherweise in Teilen der deutschen Medien stand. Ziel war die Eroberung der türkischen Justiz, die im Regierungsauftrag sämtliche Hürden auf dem Weg zur Schaffung eines islamistisch-faschistischen Herrschaftssystems beseitigen soll. So versucht die Regierung alle Kräfte, von Militärs bis zu Journalisten und Hochschullehrer, die mit Erdogans Herrschaftssystem nicht einverstanden sind, von Tag zu Tag einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.
Aus diesen Gründen muss Regierungschef Erdogan von den türkischen Wählern unbedingt daran gehindert werden, nach den Wahlen am 12. Juni 2011 ein „System“ einzuführen, das ihm und seiner Partei den legalen Weg für eine Diktatur auf Dauer frei machen soll. Um dies zu verhindern, braucht die Türkei auch die Hilfe westlicher Staaten, die eine Demokratie nach hiesigen Normen fordern und die Türkei zwinge müssen, sich in jeder Form von islamistischen Plänen und anti-westlichen Politiken Erdogans zu distanzieren.
Dr. Aydin Findikci ist Lehrer und Lehrbeauftragter für Soziologie an der LMU-München
* Artikelbild: Der türkische Ministerpräsident Erdogan im Wahlkampf im Städtchen Kastamonu nahe der Schwarzmeerküste. – Foto: EPA/CEM OZDEL ANATOLIAN AGENCY
Der türkische Ministerpräsident Erdogan im Wahlkampf im Städtchen Kastamonu nahe der Schwarzmeerküste.
* Artikelbild: Kemal Kilicdaroglu, Chef der CHP, bei einer Wahlveranstaltung in Istanbul. – Foto: REUTERS/Murad Sezer
Kemal Kilicdaroglu, Chef der CHP, bei einer Wahlveranstaltung in Istanbul.
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* Artikelbild: Yüksel Taşkın ist Politologe und hat an der Bosporus Universität in Istanbul studiert. Seit 2002 arbeitet er am Institut für Politikwissenschaft der Marmara Universität in Istanbul, seit 2009 als Privatdozent. Seine Forschungsschwerpunkte bilden Konservatismus, politischer Islam, soziale Bewegungen und Intellektuelle in der Türkei sowie die gesellschaftlichen Entwicklungen, die Politik und Jugend im Nahen Osten. – Foto: VIDC/Wiener Institut
Yüksel Taşkın ist Politologe und hat an der Bosporus Universität in Istanbul studiert. Seit 2002 arbeitet er am Institut für Politikwissenschaft der Marmara Universität in Istanbul, seit 2009 als Privatdozent. Seine Forschungsschwerpunkte bilden Konservatismus, politischer Islam, soziale Bewegungen und Intellektuelle in der Türkei sowie die gesellschaftlichen Entwicklungen, die Politik und Jugend im Nahen Osten.
Der Istanbuler Politologe Yüksel Taskin erklärt im derStandard.at-Interview das System Erdogan und warum die moderaten Islamisten im Aufwind sind
Am 13. Juni wird in der Türkei ein neues Parlament gewählt. Knapp 53 Millionen Wahlberechtigte entscheiden über die Besetzung der 550 Sitze in der Großen Nationalversammlung zu Ankara. Eine politische Zeitenwende am Bosporus ist nicht zu erwarten. Alle Umfragen gehen von einem Sieg der seit 2003 regierenden, moderat-islamischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (Adalet ve Kalkınma Partisi, AKP) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan aus. Der Istanbuler Politologe Yüksel Taskin von der Marmara-Universität war auf Einladung des Wiener Instituts für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit in Wien und hat mit derStandard.at über das Wesen Erdogans gesprochen. Er geht von einem klaren Sieg der AKP aus und erklärt, warum er das so sieht.
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derStandard.at: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist jetzt seit acht Jahren im Amt. Hat er Ruhe in die türkische Politik gebracht?
Yüksel Taskin: Es gab vorher schon drei Ministerpräsidenten in der Geschichte der türkischen Republik, die ähnlich lang im Amt waren. Adnan Menderes in den 1950er-Jahren wurde 1961 nach einer Militärintervention getötet, Süleyman Demirel und Turgut Özal waren in den Siebziger- und Achtzigerjahren auch lange im Amt. So wie sie ist auch Erdogan ein charismatischer Mitterechts-Politiker, gehört also jenem Typus Politiker an, der in der Türkei bestimmend ist. Im Gegensatz zu den drei anderen betont Erdogan aber viel offener seine muslimische Identität, ist viel religiöser.
via „Erdogan ist kein überzeugter Demokrat“ – Türkei – derStandard.at › International.
Die Türken wählen am 12. Juni ein neues Parlament. Umfragen sagen einen Sieg von Regierungschef Erdogan voraus. Der Chef der Oppositionspartei CHP, Kilicdaroglu, versucht mit Reformversprechen zu punkten.
Nicht kleckern, sondern klotzen, lautet ein altbewährtes Wahlkampfrezept, das auch in der Türkei viele begeisterte Anhänger hat. Vor den Parlamentswahlen am 12. Juni wetteifern die Politiker mit Versprechen und Projekten, und niemand tut dies mit so grandiosen Vorhaben wie Recep Tayyip Erdogan. Der Ministerpräsident hat den Bau eines neuen Kanals und zwei neuer Trabantenstädte in Istanbul angekündigt, er will die Hauptstadt Ankara und die Ägäis-Stadt Izmir neu gestalten, und am Mittwoch stellte er Pläne für neue Autobahnen, einen neuen Flughafen und ein neues Fußballstadion für die kurdische Großstadt Diyarbakir vor.
Die Großprojekte gehören zu Erdogans Strategie, die Türkei als aufstrebendes Land auf Wohlstandskurs zu präsentieren. Seit dem Regierungsantritt der Erdogan-Partei AKP im Jahr 2002 hat sich das Volumen der türkischen Wirtschaft verdreifacht, der frühere „kranke Mann am Bosporus“ ist heute Mitglied der G-20. „Weiter Stabilität – damit die Türkei weiter wächst“, lautet der Hauptslogan der AKP.
Laut den Umfragen trifft Erdogan damit bei vielen der 50 Millionen Wähler einen Nerv. In den Befragungen liegt die islamisch geprägte AKP zwischen 45 und 50 Prozent und damit etwa 20 Prozentpunkte vor der säkulären Oppositionspartei CHP. Die nationalistische MHP muss bei Werten von zehn bis zwölf Prozent um den Wiedereinzug ins Parlament bangen, denn in der Türkei gilt eine Zehnprozent-Hürde. Wegen dieser Hürde tritt die Kurdenpartei BDP mit nominell unabhängigen Kandidaten an, die per Direktmandat ins Parlament einrücken können. Wahlforscher gehen von bis zu 30 BDP-Abgeordneten im neuen Parlament mit seinen 550 Sitzen aus.
Während Erdogan mit seinen Wirtschaftserfolgen über die Marktplätze zieht, setzt sein Herausforderer, CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu, auf die Themen Korruption, Arbeitslosigkeit und Freiheitsrechte: Kilicdaroglu, der wegen seiner Nickelbrille den Spitznamen „Gandhi“ trägt, wirft Erdogan diktatorische Tendenzen vor und verspricht eine neue Ära der Reformpolitik. Der CHP-Chef hat jedoch das Problem, das seine eigene Partei in den vergangenen Jahren viele Reformen der Erdogan-Regierung als staatszersetzend ablehnte.
Kleinere Ausrutscher kommen hinzu. So kündigte Kilicdaroglu an, unter der CHP werde die türkische Wirtschaft jedes Jahr um sieben Prozent wachsen – um dann zu erfahren, dass die Wirtschaft unter Erdogan im vergangenen Jahr um satte neun Prozent zulegte.
Da alle Umfragen einen neuen Sieg der AKP erwarten lassen, wird schon darüber spekuliert, wie hoch dieser Sieg ausfallen wird: Die Frage lautet, ob die Erdogan-Partei eine Zweidrittelmehrheit der Parlamentsmandate erringen kann. Denn dann könnte die AKP den nach der Wahl anstehenden Beratungen über eine neue Verfassung ihren Stempel aufdrücken. Die neue Verfassung soll das derzeitige Grundgesetz ersetzen, das dem Land nach dem Militärputsch von 1980 von den Generälen verpasst wurde.
Erdogan hat angekündigt, die neue Legislaturperiode werde seine letzte sein. Da er mit seinen 57 Jahren noch zu jung fürs Rentnerdasein ist, vermuten seine politischen Gegner, er wolle die neue Verfassung so gestalten, dass die Türkei ein Präsidialsystem nach amerikanischem Vorbild erhält – mit ihm selbst als Präsidenten.
Was Erdogan auch immer antreibt: Wie alle anderen türkischen Spitzenpolitikern kämpft er mit harten Bandagen. Sein Hauptangriffsziel ist die rechte MHP, denn wenn die Nationalistenpartei aus dem Parlament kippt, wird die Zweidrittelmehrheit der AKP sehr wahrscheinlich. Als die MHP-Führung kürzlich durch die Veröffentlichung von Sex-Videos erschüttert wurde, richtete sich der Verdacht deshalb auf die AKP. Erdogan dementierte energisch. Und tatsächlich zeigen neue Umfragen, dass die Sex-Videos eher der AKP als der MHP schaden.
Im Wahlkampfgetöse fällt ein Thema durch Abwesenheit auf: Die EU wird nur selten erwähnt. Allenfalls EU-Minister Egemen Bagis spricht häufiger über den stockenden Beitrittsprozess. Aber auch er macht keinen Versuch, die nach Jahren der Zurückweisung durch wichtige EU-Staaten wie Frankreich chronisch gewordene Europa-Skepsis der Türken zu bekämpfen. Selbst ohne Mitgliedschaft könne die Türkei ein Land auf EU-Niveau sein, sagte Bagis kürzlich. Für die Türkei gehe es allein um die europäischen Werte – „und nicht um die europäischen Staaten“
via Neues Parlament: Türkei vor der Wahl: Patriarch oder „Gandhi“? – Politik – Tagesspiegel.