Erschütternde Dokumente und eine Ausstellungs-Gestaltung auf hohem Niveau.
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Von Kurt Wernicke 07.10.2010
Der Dünkel der »Herrenmenschen«
»Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg« – eine neue große Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin
Das Jüdische Museum Berlin eröffnete kürzlich eine Sonderausstellung – es geht um die brutale Ausbeutung der in der NS-Zeit offiziell »Fremdarbeiter« genannten ausländischen Arbeitskräfte, um die bis zu 20 Millionen Menschen, die der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft im Zweiten Weltkrieg dienstbar sein mussten.
Eröffnet wurde die Exposition kurz vor dem 20. Jahrestag der deutschen Vereinigung, Wo liegt die Verquickung dieses Themas mit dem 20. Jahrestag der deutschen Vereinigung?
Nun, die Antwort findet sich im Londoner Schuldenabkommen von 1953, welches die Bundesrepublik als Vorbedingung für die in Aussicht gestellte Souveränität nach Beitritt zur NATO zu unterzeichnen hatte. Darin war die Forderung nach Entschädigungen für von deutscher Seite 1939 bis 1945 angerichtete Schäden fixiert worden. Angesichts der damals anstehenden westdeutschen Finanzanstrengungen im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung wurde dies jedoch erst einmal bis zum Abschluss eines künftigen Friedensvertrages auf Eis gelegt.
Um jene Klausel wissend, unternahmen die Vertreter der Kohl-Regierung 1990 alles erdenklich Mögliche, den Zwei-plus-Vier-Prozess nicht in einen Friedensvertrag münden zu lassen – bekanntlich mit Erfolg. Aber es gab in der Welt mithin Kräfte, die sich der Forderung von 1953 gut zu entsinnen vermochten und dem vereinten Deutschland die Erinnerung an die millionenfach angeeignete Sklavenarbeit ins Gedächtnis zwangen – verbunden mit der Frage, wie man sich einer Nachzahlung für die einst umsonst oder zu Niedrigstlöhnen schuftenden Zwangsarbeiter zu stellen gedenke.
Es bedurfte langer Auseinandersetzungen und erheblichen moralischen (und wohl auch diplomatischen) Drucks aus dem Ausland, ehe im Jahre 2000 das Problem der Entschädigung von Millionen Arbeitskräften eine Lösung erfuhr: eine Stiftung, deren Kapital im Umfang von 5,2 Milliarden Euro teils vom Bund, teils von der deutschen Wirtschaft aufgebracht wurde.
Diese in Berlin angesiedelte Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« hat ihr Auszahlungsprogramm an die einstigen Zwangsarbeiter 2007 abgeschlossen, aber in dankenswerter Weise hatten die seinerzeitigen Gründungsväter aus dem Stiftungskapital etwas mehr als 350 Millionen Euro für Fördertätigkeit reserviert. Aus den daraus entspringenden Erträgen finanziert sich die Forschungs- und Öffentlichkeitsarbeit, die sich der Aufklärung über »Zwangsarbeit im NS-Regime« widmet; sie engagiert sich weiterhin für die zum erheblichen Teil bereits greisen Überlebenden und sorgt dafür, dass das Thema nicht in Vergessenheit gerät.
Einen sehr überzeugenden Schritt auf diesem Wege hat sie mit der in ihrem Auftrag von drei Wissenschaftlern der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora in Weimar jahrelang akribisch vorbereiteten Sonderausstellung getan, die sie aus Anlass ihres zehnjährigen Bestehens nun auf 900 Quadratmetern im Jüdischen Museum Berlin der Öffentlichkeit vorstellt.
Zwangsarbeit definiert die Ausstellung als eine Arbeit, die gegen den Willen des Arbeitenden mit außerökonomischem Zwang durchgesetzt wird, und bei welcher der Betroffene keine oder kaum Einflussnahme auf die Rahmenbedingungen seiner Arbeit hat. Beim Einsatz in der deutschen Kriegswirtschaft gab es bezüglich des Umgang mit ausländischen Arbeitskräften erhebliche Differenzierungen. West- und Nordeuropäer, die zum Teil in formaler Freiwilligkeit sich hatten anwerben lassen, genossen bei Unterbringung, Verpflegung, Freizeitgestaltung wie auch am Arbeitsplatz zumeist noch tolerable Verhältnisse. Wer aber »rassisch minderwertig« war, hatte nicht einmal formale Rechte. Das galt für Slawen (Polen, Russen, Serben), bei denen selbst der Unterschied zwischen Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeitern verwischt wurde. Das galt geradezu exzessiv für Juden sowie Sinti und Roma, bei denen letzten Endes immer die »Vernichtung durch Arbeit« auf der Tagesordnung stand.
Dieser Umgang mit »minderwertigem Menschenmaterial« war bereits zwischen 1933 und 1939 angelegt und an jenen beiden Bevölkerungsgruppen brutal exerziert worden, medial begleitet von der Unterstellung, Juden und Zigeuner scheuten prinzipiell vor Arbeit zurück und müssten daher dazu gewzungen werden. Die Ausstellung belegt dies anhand erschütternder Quellen. Die brutale Zwangsrekrutierung war begleitet von Demütigung und Verhöhnung der Opfer, von Schikanen und sadistischen Praktiken.
Die Verschickung polnischer Arbeitskräfte in die personalhungrige deutsche Landwirtschaft löste die erste Welle der Deportationen von Fremdarbeitern aus den okkupierten deutschen Gebieten aus, die bis zum Kriegsende nicht abebbte. 1942 erreichte die millionenfache Verschleppung von Russen und Ukrainern ihren Höhepunkt. Mit dem Antransport von 600 000 italienischen »Militärinternierten« im Herbst 1943 erfuhr die Zwangsrekrutierung eine letzte große Aufstockungswelle.
Dabei gerieten die NS-Strategen in ein Dilemma: Sie erkannten den Personalbedarf, fürchteten aber um das »reinrassige deutsche Blut«, wenn trotz der für die importierten Arbeitskräfte erlassenen scharfen Aufenthalts- und Verhaltensregeln – Fremdarbeiter hatten z. B. nicht am selben Tisch wie Deutsche ihr Essen einzunehmen – sich Intimkontakte ergäben und Folgen haben würden. So wurde die Todesstrafe für minderrassige »Verführer« von Vertreterinnen der »Herrenrasse« verkündet. Die Ausstellung führt etliche Beispiele an, für Exekutionen auf Grund des geringsten Verdachts eines Verstoßes gegen diese Anordnung.
Es gab kaum einen Sektor im agrarischen Bereich, der Bauwirtschaft und der Industrie, in denen den Deutschen nicht Fremdarbeitern begegneten. Selbst in kleinen Handwerksbetrieben und privaten Haushalten mussten sie schuften. Die Ausstellung belegt überzeugend, dass die Mehrheit des deutschen Volkes die Ideologie des »Herrenmenschentum« tief verinnerlicht hatte. Und wo sich zuweilen, dem zuwider, zwischenmenschliche Verhältnisse herauszubilden begannen, fand sich zumeist prompt ein Denunziant. Allerdings übersieht die Ausstellung jene auch vorkommenden, zahlenmäßig durchaus relevanten Beispiele aus Industriebetrieben, wo deutsche Arbeiter dank ihres keineswegs gänzlich verschütteten Klassenbewusstseins kollegiale Verhältnisse mit ihren Zwangsarbeiterkollegen pflegten.
Dass es von der Seite der Zwangsarbeiter Widerstandsaktionen gab, ist unbestritten; es dürfte sich dennoch um Einzelfälle gehandelt haben; die Ausstellung berichtet über zwei konkret. Der Gestapo fiel es schwer, den schmalen Grat zwischen Unfähigkeit und Unlust der Arbeitenden exakt zu definieren. Für Zweifelsfälle wurde mit »Arbeitserziehungslagern« als einer Vorstufe zur Einweisung ins KZ ein willkürlich angewendetes Mittel der Strafe geschaffen.
Die an authentischen Dokumenten reiche Ausstellung bietet mehr als 60 repräsentative Fallgeschichten, individuelle Schicksale, die keinen Besucher ungerührt lassen. Museumsdidaktisch steht diese Dokumentation auf einem geradezu idealtypischen hohen Niveau: Die Themenkomplexe sind durch überdimensionierte Fotoreproduktionen mühelos zu identifizieren; fremdsprachige Originaldokumente werden durch dezent untergebrachte, aber ohne jeden Aufwand zugängliche Übersetzungen verständlich gemacht; vertiefende audio-visuelle Dokumentationen sind mittels leicht handhabbarer Technik abzuberufen. Eine sehr kritische Reflexion der beschämenden langen deutschen Verweigerung einer materiellen Entschädigung der Opfer findet sich gestalterisch verdichtet auf einer langen blanken Betonwand. Anklagende Überschrift: »Deutsche Bürokratie«.
Berlin ist die erste Station dieser Ausstellung, um die sich bereits etliche Städte bewarben. Als nächstes wird sie wahrscheinlich in Warschau gezeigt werden.
»Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg«. Jüdisches Museum Berlin; bis 30. Januar 2011. Das umfangreiche Begleitprogramm ist abzurufen im Internet unter ww.jmberlin.de. Katalog (256 S., 19.80 €). Unser Autor Dr. Kurt Wernicke war stellvertretender Generaldirektor des Museums für Deutsche Geschichte in Berlin.
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