Die Türkei hält trotz der jüngsten Nuklear-Katastrophe in Japan an ihren Atomkraft-Projekten fest. Die geplanten Kraftwerke entsprächen hohen Sicherheitsstandards, so Energieminister Yildiz. Experten sind eher skeptisch.
Noch hat die Türkei keine Atomkraftwerke, zwei davon aber sind in Planung. Sie gehören der vierten und jüngsten Reaktorgeneration an und sollen höchsten Sicherheitsstandards entsprechen. Der Bau des ersten türkischen Atomkraftwerkes in Akkuyu bei Mersin am Mittelmeer steht unmittelbar bevor. Das Bauprojekt wird von dem russischen Nuklearunternehmen Rosatom geleitet. Der Vertrag wurde letztes Jahr unterschrieben. Man geht davon aus, dass die Bauarbeiten Ende des Jahres beginnen werden. Allerdings befindet sich das südtürkische Akkuyu in unmittelbarer Nähe der Erdbebenspalte Ecemiş. Vor etwa 40 Jahren hatte eine Kommission von Wissenschaftlern den Bau eines Atomkraftwerks in dieser Gegend für unbedenklich erklärt.
Keine Erfahrungen mit „vierter Generation“
Brennende russische Flagge und ein muskulöser männlicher Oberkörper (Foto: Picture-Alliance/dpa/DW-Montage)Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Kritiker fürchten Abhängigkeit von RusslandEiner dieser Wissenschaftler war Nuklear-Ingenieur Tolga Yarman. Mittlerweile hat er seine Meinung geändert. Er betont, man habe damals sehr großes Vertrauen in die Atomkraftwerke gehabt. Allerdings hätte sich dies nach der Nuklear-Katastrophe in Tschernobyl geändert. Zudem habe sich das Gebiet Akkuyu landwirtschaftlich und touristisch sehr entwickelt. Daher müsse man diese Entscheidung heute erneut überprüfen: „Ich habe vor einigen Jahren gesagt, dass man den Reaktor bei Akkuyu nicht bauen soll.“ Yarman befürchtet negative Auswirkungen auf den Standort für die Wirtschaftszweige, die sich inzwischen dort erfolgreich angesiedelt haben, insbesondere der Export von Obst und Gemüse sowie der Tourismus. „Bevor man diese Auswirkungen nicht untersucht hat, wäre es nicht korrekt, den Reaktor zu bauen.“ Die Ecemiş-Erdbebenspalte sei zwar damals bekannt gewesen, doch mögliche Gefahrenquellen seien nicht erforscht worden. Zudem sei das Wasser im Mittelmeer zu warm, um als Kühlwasser zu dienen.
Auch der Energieexperte Necdet Pamir vertritt die Meinung, dass der Bau eines Reaktors bei Akkuyu gewisse Nachteile für die Türkei hätte: „Die Türkei wird von Russland noch mehr abhängig sein.“ Das Land hinge momentan von den russischen Gaslieferungen ab, die Abhängigkeit von der Nuklearenergie käme noch hinzu, befürchtet Pamir. Außerdem habe man noch keine Erfahrungen mit dem geplanten jüngsten Reaktor-Typ VVER 1200, gibt der Energieexperte zu bedenken.
Atomausstieg umstritten
Eine Fähre zieht an der Kulisse der Hafenstadt Istanbul vorüber (Foto: Picture-Alliance/dpa)Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Sicheres AKW auch in Istanbul denkbar, so ein ExperteNach Akkuyu plant die Türkei den zweiten Reaktor in Sinop, in der nördlichsten Stadt der Türkei, zu bauen. Da das Erdbebenrisiko hier ziemlich gering ist, habe man diesen Ort ausgesucht, so das Argument der Atomkraftbefürworter. Die Regierung plant, diesen Reaktor von Japanern bauen zu lassen. Die Verhandlungen dauern noch an. Energieexperte Necdet Pamir meint, dass dies auch kein sicheres Projekt sei: „Für den Bau eines Reaktors wurde für Sinop noch keine Genehmigung erteilt. Diese Entscheidung betrifft unmittelbar die Menschen, die in der Umgebung leben und sollte durch einen Volksentscheid gefällt werden. Es gibt zu viele Unwägbarkeiten, deshalb denke ich, dass Sinop auch nicht geeignet ist.“
Der ehemalige Vorsitzende der türkischen Atomenergie-Behörde, Cengiz Yalçın, meint, dass nukleare Katastrophen alleine kein Grund seien, aus der Nuklearenergie auszusteigen. Ihm zufolge ist es möglich, sogar in einer stark erdbebengefährdeten Stadt wie Istanbul ein Atomkraftwerk zu bauen, wenn alle Sicherheits-Maßnahmen getroffen werden: „Das Erdbebenrisiko wird in Betracht gezogen, dies wird in die statischen Berechnungen mit einbezogen. Danach wird ein Bauplan erstellt. Wenn der Reaktor nach diesem Plan gebaut wird, stellt ein Erdbeben kein großes Risiko dar. Der Bau des Reaktors muss ganz genau und planmäßig durchgeführt werden.“
Experten setzen auf Alternativen
Die türkische Wirtschaft verzeichnet in den letzten Jahren ein hohes Wachstum. Daher stellt sich die Frage, wie dieses Land in den nächsten Jahren den steigenden Energiebedarf decken soll. Das Argument der Kernenergie-Befürworter lautet, die Türkei benötige unbedingt Atomenergie. Energieexperte Necdet Pamir meint, es gebe auch andere Möglichkeiten wie Braunkohle oder erneuerbare Energien wie Wind und Sonne. Er sagt, Atomenergie sollte nicht unbedingt ausgeschlossen werden, aber die Voraussetzungen müssten stimmen: „Wir sind Ingenieure. Wir ziehen alle Technologien in Betracht. Es heißt, die Reaktoren der vierten Generation sind besser.“ Zunächst müssten alle Risiken überdacht werden. Eine endgültige Entscheidung könne danach gefällt werden, so Pamir.
Autorin: Başak Özay
Redaktion: Mirjana Dikic / Robert Schwartz