Aydin Findikçi fordert einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der türkischen Regierungspartei, weil sie das Land islamisiere.
Die Türkei ist bekanntlich ein wunderschönes Land. Dieses Land wurde in Form einer Republik am 29.Oktober 1923 von Mustafa Kemal Atatürk ins Leben gerufen. Seit ihrer Gründung verfolgte die Türkei bis zu den Wahlen im November 2002 eine nach Westen ausgerichtete Politik.
Das Jahr 2002, in dem die AKP „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ von Recep Tayyip Erdogan im November 2002 die Wahlen gewann, ist für die gesamte Türkei ein Wendepunkt. Seit dieser Zeit wird die türkische Gesellschaft in jeder Form verändert, manipuliert und islamisiert. Die von der AKP-Regierung vorgenommenen grundlegenden Veränderungen der türkischen Gesellschaft dienen nicht zu weiteren Europäisierung und Modernisierung, wie dies fälschlicher Weise öfter in Teilen der europäischen Medien dargestellt wird, sondern zur vollständigen Islamisierung der türkischen Gesellschaft und Totalisierung des Landes.
Und diese Entwicklung ist die Hauptgefahr des Friedens mit fatalen Folgen für Europa. Gerade diese Entwicklung stellt das Haupthindernis des Landes auf dem Weg der Etablierung der Demokratie nach westlichen Normen dar. Ein Land, wie die Türkei, das mit seiner eigenen Kraft es nicht schafft, sich zu einer Demokratie im westlichen Sinne zu entwickeln und sich bewusst von der westlichen Welt abzukoppelt, kann auch keinen Anspruch darauf haben, Mitglied der Europäischen Union (EU) zu werden und eine Regionalmacht zu sein.
Türkei ist wichtig für die westliche Welt
Es steht außer Zweifel, dass die Türkei sowohl in ihrer Region als auch für die Interessen der westlichen Welt ein wichtiges Land ist. Aufgrund ihrer strategischen Stellung war und ist die Türkei immer für die westliche Welt von erheblicher Bedeutung. Mittlerweile befindet sich die Türkei von Atatürk in einer sehr schwierigen Lage, die in erster Linie dadurch gekennzeichnet ist, dass sie von der AKP-Regierung von Tag zu Tag von der westlichen Welt abgekoppelt und folglich in einen ethnisch motivierten Bürgerkrieg getrieben wird.
Die Abkopplung der Türkei von der westlichen Welt und von ihren Normen liegt sicherlich weder in ihrem eigenen Interesse noch im Interesse ihrer Region noch im Interesse des Westens.
Es steht mittlerweile fest, dass es der Türkei aufgrund der Abkoppelungspolitik der AKP-Regierung und ihrem Führer nicht gelingt, sich als eine westliche Demokratie zu etablieren. Das türkische Volk ist eigentlich bereit, sich an die westlichen Normen zu orientieren und sich noch mehr stärker dafür einzusetzen, wenn die politische Führung des Landes aufgrund ihrer antiwestlichen und antisemitischen Haltung den Westausrichtungsprozess von Atatürk nicht bremsen würde. Und das ist auch die eigentliche Ursache, warum es seit der Machtübernahme der APK-Regierung und ihrem Führer Recep Tayyip Erdogan im Jahre 2002 Ankara nicht gelingt, die türkische Gesellschaft zu modernisieren.
Atatürk wollte das Land aus dem Orient führen
Der Orient und der Osten waren für Atatürk gleichbedeutend mit mittelalterlicher Rückständigkeit. Die Absicht von Atatürk war die Etablierung einer demokratischen, laizistischen und europäischen Türkei, die als Teil des Westens in der Welt ihre Verantwortung übernehmen sollte. Aus diesem Grund standen Europa und der Westen für das Moderne.
Die Modernisierung der türkischen Gesellschaft nach westlichen Normen war das erklärte Ziel der Politik von Atatürk. An dieser Grundausrichtung der am 29. Oktober 1923 gegründeten Republik hat in den letzten Jahren, insbesondere seit dem Regierungsantritt der AKP und ihres Führers Recep Tayyip Erdogan vieles geändert.
Atatürk hat mit dem Ziel, die Türkei zu einem modernen Staat zu entwickeln, eine Reihe von Umgestaltungen durchgeführt. Dazu gehörte in erster Linie die Aufhebung des Sultanats (1.November 1922) und die Abschaffung des Amtes des Kalifen (3. März 1924).
Bruch mit den Kalifen
Und Ali Yüksel, der seit kurzem Berater vom AKP-Führer Erdogan geworden ist, wurde in Deuschland von der Milli Görüs und ihren Sympathisanten als Kalife gewählt. Und dieser kalifa, der mit drei Frauen verheiratet ist, berät die türkische Regierung. Daher ist die Wiederherstellung dieses religiösen Amtes das erklärte Ziel der gesamten türkischen Islamisten weltweit.
Atatürk ersetzte als wöchentlichen Ruhetag den Freitag durch den Sonntag. Die Wiedereinführung des Freitags als Ruhetag ist ebenfalls das erklärte Ziel der Islamisten, weil aus deren Sicht der Sonntag der christliche Ruhetag ist. Atatürk schaffte am 1.11.1928 die arabische Schrift ab und verordnete den türkischen Staatsbürgern das lateinische Alphabet, er verbot die osmanische Kopfbedeckung Fez am 25. November 1925 und ordnete stattdessen das Tragen westlicher Hüte an.
In Deutschland tragen immer mehr Frauen das sogenannte Kopftuch (Turban), das ihre Integration beeinträchtigt und hemmt. In diversen Jugendheimen, die vom politischen Islam in zahlreichen Städten getrieben werden, wird Koran in arabischer Sprache auswendig gelehrt.
Streben in die EU
Die Atatürk’sche Revolution war der Beginn des modernen türkischen Europa-Strebens. Aus diesem Grund entscheid sich die Türkei für die Vollmitgliedschaft in der NATO schon 1952 – drei Jahre früher als Deutschland – und 1963 für die Assoziierung mit der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorläuferin der heutigen EU. Aufgrund dieser Assoziierung ist die Türkei seit dem 1.1.1996 durch die Errichtung der Zollunion wirtschaftlich eng an der EU angebunden.
Die Türkei hat auf dem EU-Gipfel im Dezember 1999 in Helsinki die Erklärung der EU akzeptiert, mit der das Land in den Status eines Beitrittskandidaten erhoben wurde. „Auf diesem Gipfel wurde die Türkei als Beitrittskandidat für die EU benannt und somit das korrigiert, was ihr auf dem Luxemburger EU-Gipfel zwei Jahre zuvor im Dezember 1997 verwehrt worden war.
Nunmehr hat sich die Türkei in die Pflicht nehmen lassen, tief greifende Reformen zu vollziehen – Reformen, welche die Annäherung und Angleichung an die EU-Normen betreffen, die zu erfüllenden Voraussetzungen für die Vollmitgliedschaft. Der Annäherungsprozess ist durch die Unterzeichnung der Beitrittspartnerschaft auf dem Gipfel in Nizza am 7.Dezember 2000 nunmehr in eine neue Phase getreten, in der die Türkei zügig und entschlossen das Reformwerk vollziehen muss“, so Faruk Sen in einem Aufsatz 2001.
„Es gibt nur eine Zivilisation – die westliche“
n diesem Zusammenhang ist aber die Analyse von Stefan Hibberler von erheblicher Bedeutung, um die Rolle und die Stellung der modernen Türkei von Atatürk für den Westen sowie die Veränderungen der letzten Jahre in der Gegenwart besser zu verstehen.
„Bereits im 18. Jahrhundert setzten Reformbewegungen ein, die sich an westeuropäischen Vorbildern orientierten. Neben Reformen auf militärischem Gebiet begann bereits im 19. Jahrhundert die Übernahme westlichen Rechts, das zunehmend das osmanische ablöste.
Nach dem Befreiungskrieg unter Mustafa Kemal Atatürk und der Gründung der Türkischen Republik 1923 beschleunigte sich das Reformtempo, wobei sich die Zielrichtung des Prozesses mit einem Satz Atatürks umreißen lässt: „Es gibt nur eine Zivilisation – die westliche“.
Die kemalistische Außenpolitik ist pragmatisch geprägt und setzt auf friedliche Koexistenz mit allen Nachbarn. Sie trägt zugleich die Tendenz zur Neutralität, d.h. das Bemühen, zu allen großen Mächten gute (und nützliche) Beziehungen zu unterhalten. Auf der Grundlage dieser Politik beispielsweise ist die Türkei nicht aktiv in den Zweiten Weltkrieg eingetreten“.
Gesetze nach europäischem Vorbild
Die Gesetze der neuen Türkei wurden nach europäischen Vorbildern geschneidert. Die gleichen Rechte für Frauen und Männern wurden von 1926 an stufenweise gewährleistet. Zur Beschäftigungssituation der türkischen Frauen seit der AKP-Regierung stellt die Welt Online in ihrer Ausgabe vom 01.06.2007 folgendes fest: „Es gibt immer weniger Frauen in verantwortungsvollen Positionen, seit die AKP regiert…
Fairerweise muss gesagt werden, dass der Frauenanteil in der Verwaltung im Vergleich zu den meisten westlichen Ländern, etwa Deutschland, recht hoch ist und annähernd dem EU-Durchschnitt entspricht. Das hat aber nicht die AKP durchgesetzt. Der hohe Frauenanteil ist Teil der kemalistischen Staatskultur.“ (hier)
Nach Angaben von Ertugrul Özkök gibt es in der Türkei insgesamt 7283 Richter, wovon 5006 männlich und 2277 weiblich sind. Die Gleichberechtigung von Frau und Mann wurde mit dem aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen im Jahre 1934 eingeführt. Am 18.Juli 2010 hat Recep Tayyip Erdogan eine Delegation aus diverser Frauenorganisation in Istanbul empfangen und ihnen sehr stolz mitgeteilt, dass er an der Gleichberechtigung von Frau und Mann nicht glaube, so Karakol Baki.
Die AKP dreht alles um
In der Türkei ist seit dem Regierungsantritt der AKP eine völlig andere Entwicklung zu verzeichnen. Seit dem Regierungsantritt der AKP von Recep Tayyip Erdogan im November 2002 befindet sich die Türkei in einer völlig neuen Situation, die durch zahlreiche besorgniserregende Entwicklungen sowohl für die gesamte türkische Wohnbevölkerung als auch für die westliche Welt gekennzeichnet ist: Die türkische Gesellschaft wird gespalten und manipuliert.
So wird z.B. in der Türkei die Bevölkerung am 12.September 2010 in einem Referendum über die Verfassungsreform abstimmen. Wer sich noch nicht im Sinne der AKP und ihres Führers zur Farbe bekennt und „Nein“ zu Verfassungsänderungen sagt, wird von Recep Tayip Erdogan hart bestraft, beleidigt und beschimpft.
Der erste Europaminister seines Landes Egemen Ba bezeichnet die türkischen Wähler in der Zeitung „Cumhuriyet“ als diejenigen „die entweder nicht alle Tassen im Schrank oder ein Problem mit der Liebe des Landes haben, wenn sie „Nein“ zu Verfassungsänderungen sagen würden“.
Erdogan mit Goebels und Hitler verglichen
Der Vorsitzende der Oppositionspartei, der CHP (Republikanische Volkspartei) Kemal Kiliçdaroglu wird aufgrund seines alawitischen Glaubens von Recep Tayip Erdogan massiv angegriffen und beleidigt. Diese Beleidigung seiner Person vergleicht Kiliçdaroglu in der „Hürriyet“ mit Goebbels aus Hitler-Deutschland und betont: „Was Goebbels nicht geschafft hat, machen sie das. Und das nennt man Faschismus“.
Der Vergleich von Erdoan mit Goebbels durch Kiliçdaroilu wird auch vom türkischen Verfassungsrechtlern Prof. Dr. Süheyl Batum geteilt. Prof. Batum weist in seinem Aufsatz „Sözden Yaziya “ (vom mündlichen zu schriftlichen) in einer Zeitung vom 23.August 2010 wie folgt darauf hin: „die Türkei rückt immer in Richtung des Hitler-Faschismus. Telefonabhören und unrechtstaatliche Taten belegen das“.
Nach Angaben des türkischen Journalisten Oktay Ekci droht Recep Tayyip Erdogan allen Wählern, Organisationen, Vereinen, Verbänden und Gewerkschaften folgendermaßen: „Entweder unterstützt ihr uns mit „Ja“ bei unserer Kampagne für die Volksabstimmung zur Verfassungsänderung, oder ihr müsst nach der Volksabstimmung mit Eurem Schicksal zurecht kommen“ So eine Drohung der Verbände durch den Ministerpräsident eines EU-Mitgliedsstaates ist überhaupt nicht vorstellbar und in jeder Form abzulehnen.
Premier will aus der Demokratie „aussteigen“
Orhan Bursal analysiert in seinem Aufsatz vom 19. August 2010 in der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“ die politische Entwicklung des Landes im Hinblick auf die Haltung von Ministerpräsident Erdogan mit folgenden Worten: “Wir haben in der letzten Zeit bisher niemandem als Ministerpräsidenten erlebt, der seinen Sessel gegen die Demokratie so vehement missbraucht, wie er“. Nun hat Erdogan in der „Neuen Züricher Zeitung“ selbst zugegeben, dass die Demokratie wie eine Straßenbahn sei, in die man einsteige, bis man am Ziel sei, um sie dann wieder zu verlassen.
Die türkische Gesellschaft wird seit Jahren immer undemokratischer, konservativer und einschüchternder. Die Theologisierung der Politik und die Islamisierung der Gesellschaft haben enorm zugenommen. Die religiösen Strömungen werden immer sichtbarer und mächtiger.
Überall entstehen in der Türkei religiösen Schulen, Jugendheime, Hochschulen, Krankenhäusern, Jugendheime etc. von religiösen Sekten wie von Fetullah Gül, Süleymancilar, Ismail Aga usw., die in der Regierung und somit auch in der Gesellschaft erheblichen Einfluss gewonnen haben.
Islamisierung schreitet voran
So wurde seit dem Regierungsantritt der AKP auch die Stellung des türkischen Militärs erheblich geschwächt. Die Haftbefehle gegen mehr als 100 hohe Offiziere und Ex-Generäle wegen Putschverdacht in den vergangenen Wochen vertiefen die Gräben in der türkischen Gesellschaft. Die Generäle und ein erheblicher Teil der türkischen Gesellschaft „sehen in den Ereignissen keinen demokratischen Befreiungsschlag, sondern die Vorboten eines Unrechtsstaates. Diese Spaltung des Landes dürfte dringend nötige Reformen in dem EU-Bewerberland erschweren…
Die Festnahme der Offiziere und die damit verbundene Schwächung der Armee, so wichtig sie für die Demokratisierung des Landes auch gewesen sein mögen, bedeuten also nicht automatisch eine Stärkung der Reformpolitik in der Türkei, wie es der Berliner Tagesspiegel schrieb. Jede Schwächung des türkischen Militärs trägt zur Stärkung der Islamisierung der türkischen Gesellschaft bei.
Und mit dieser türkischen Regierungspartei führt die EU seit dem 3.Oktober 2005 die sogenannten Beitrittsgespräche durch, die von der AKP nicht nur für die vollständige Islamisierung der türkischen Gesellschaft, sondern auch für die Abkoppelung der Türkei vom Westen instrumentalisiert werden. Daher ist die Stimme der EU zu Recht von erheblicher Bedeutung, dass sie sich besorgt über die Festnahme von türkischen Armeeangehörigen wegen möglicher Putschpläne gezeigt hat. (hier)
Verschwörungstheorien gegenüber Dissidenten
Die türkische Armee gilt seit Bestehen der Republik als Hüter der Verfassung, der Demokratie und des Laizismus nach westlichem Vorbild. Aufgrund der gegen das türkische Militär gerichteten AKP-Politik herrscht in der türkischen Öffentlichkeit die breite Ansicht, dass der Recep Tayyip Erdogan und seine AKP anscheinend aus der laizistischer Republik einer gemäßigte „Islamischer Republik der Türkei“ schaffen will.
Die stufenweise Abkoppelung der Türkei vom Westen höhlt den von Atatürk eingeleiteten Westausrichtungsprozess aus. Er wollte aus den Trümmern des Osmanischen Reiches eine moderne und eine westlich orientierte Republik schaffen.
Es werden nicht nur Armeeangehörige wegen angeblicher Putschpläne verhaftet, sondern auch Dutzende von prominenten Kritikern der Regierungspartei wegen angeblicher Mitgliedschaft in der so genannten „Terrororganisation Ergenekon“. Diese angebliche „Terrororganisation Erkenekon“ „ist der Deckname für einen geheimen Zusammenschluss von Militärs, Bürokraten, Journalisten, Professoren und Richtern, die alle gemeinsam das Ziel hatten, die Regierung der islamischen AKP zu stürzen“, wie Jürgen Gottschlich es beschreibt.
Verhaftungen türkischer Intellektueller
Unter den Festgenommenen befanden und befinden sich auch der 83-jährige, Chefredakteur und Verleger der Tageszeitung „Cumhuriyet“, Ilhan Selçuk (bereits verstorben), einer der bekanntesten türkischen Journalisten, der ehemalige Rektor der Universität Istanbul, Kemal Alemdaroilu und Doiu Perinçek, der Vorsitzende der türkischen Arbeiterpartei.
Seit knapp zwei Jahren sind der Bürochef der wichtigsten Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, Mustafa Balbay, sowieTuncay Özkan, ein Parteivorsitzender und ein weltweit angesehener Chirurg und Rektor der Universität Baskent in Ankara ,Professor Mehmet Haberal, eingesperrt, ohne dass ihnen der Grund ihrer Verhaftung offiziell mitgeteilt wurde. Alle diese türkischen Intellektuellen sind Kritiker der AKP-Regierung.
Recep Tayyip Erdogan verträgt überhaupt keine Kritik. „Er hat Karikaturisten vor Gericht gezerrt, weil sie ihn als Frosch oder als Ente gezeichnet haben. Seine Regierung verfolgt die ihm kritisch gesinnte Dogan-Mediengruppe mit einer existenzbedrohenden Steuerstrafe“.
AKP richtet den „Tiefen Staat“ ein
Am 20. Oktober 2008 begann vor dem Gericht von Silivri der Prozess gegen zahlreiche Angeklagte der vermeintlichen „Organisation Ergenekon“. Universitätsdekane, Hochschullehrer, oppositionelle Politiker, Anwaltskammern und türkische Tageszeitungen kritisieren zu Recht die harte Vorgehensweise gegen vermutete Mitglieder dieser Organisation.
Sie werfen aus berechtigten Gründen der AKP-Regierung vor, auch unschuldige Fürsprecher eines liberalen, säkularen Staates in die Ermittlungen hineinzubeziehen, um sie einzuschüchtern. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Die Ermittlungen werden absichtlicht hinausgezögert und politisch missbraucht, wie Esra Alus in der Zeitung Milliyet eindrucksvoll zeigt.
Daher herrscht in der türkischen Öffentlichkeit mittlerweile die Überzeugung, dass die AKP ihren eigenen „Tiefen Staat“ errichtet. Es ist mittlerweile bekannt geworden, dass sich einige Anklagepunkte auf Zeugen stützen, deren Identität die Staatsanwaltschaft geheim hält. Zudem werden fragwürdige abgehörte Telefongespräche als Beweismittel verwendet. Es gibt in der Türkei niemanden mehr, der keine Bedenken hat, abgehört zu werden.
Fetullah Gülen und ihre Ziele
Jeder Bürger in der Türkei rechnet damit, jederzeit willkürlich verhaftet zu werden, wenn er die Regierungspartei und ihre Politik auf demokratischer Art und Weise kritisiert. „Als treibende Kraft hinter den Verhaftungen wird die islamische Sekte von Fethullah Gülen vermutet, die mittlerweile über erheblichen Einfluss in der Polizei verfügen soll.“, vermutet der österreichische „Standard“.
Fetullah Gülen lebt in den USA, wird von der Türkei per Haftbefehl gesucht und unterhält weltweit mehrere Schulen. Serap Çileli beschreibt in einem Gespräch mit dem Bayernkurier vom 9. April 2010, wie die Gülen-Bewegung ideologisch einzuordnen ist und welche Ziele sie verfolgt:
„Die Gülen-Gemeinde unterstützt die islamisch-konservative Regierungspartei AKP. Sowohl die AKP-Oligarchie (Herrschaft einer Minderheit) als auch die Gülen-Sekte haben eine Empathie (Sympathie) für die osmanische Ideologie. In Gülen-Schulen in der Türkei wie im Ausland wird weltweit die türkisch-islamische Synthese verbreitet und gelehrt. Der türkische Staatspräsident Gül lobt die Aktivitäten der Gemeinde Gülens und hält Reden zur Eröffnung der Gülen-Schulen, aktuell in Bangladesch. Zu Recht wurden jedoch in Russland oder in Usbekistan die Gülen-Schulen geschlossen und alle Aktivitäten der Nurcu-Bruderschaft verboten. Das staatliche usbekische Fernsehen beschuldigte die Gülen-Sekte sogar, durch die Verbreitung pantürkischer Propaganda die usbekische Kultur zu zerstören…
Gülen will die Theokratie
Gülen lebt seit mehreren Jahren im selbstgewählten Exil in den USA und wird streng vom FBI bewacht. 1996/97 leitete die türkische Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Es hieß, Gülen beabsichtige die Beseitigung der demokratisch-laizistischen Türkei (Laizismus bedeutet die Trennung von Religion und Politik) und strebe die Errichtung eines theokratischen Staates auf religiöser Grundlage an (Scharia).
Und genau diesen Aspekt dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, auch wenn Gülen im Westen als jemand gilt, der islamische Lehren mit liberalen Ideen verbindet und den interreligiösen Dialog propagiert, als „gemäßigter Islamist“ mit seinen tränenreichen „Toleranz- und Friedensbotschaften“. Der Schein trügt. Die Gülen-Bewegung ist eine Glaubensgemeinschaft mit missionarischen Zwecken…
Es gibt rund 150 Nachhilfe-Institute und zwölf Schulen in Deutschland, die der Gülen-Gemeinde angehören oder ihr nahe stehen. Demnächst soll im schwäbischen Jettingen-Scheppach die erste Gülen-Schule mit Internat erbaut werden.
Der große Dschihad ist Bildung
„Unser großer Dschihad ist die Bildung“, lautet Fethullah Gülens Botschaft. Er gibt sich gern als besonnener, harmoniebedürftiger Geistlicher. Seine Anhänger nennen ihn Hodscha-Efendi. Allein in der Türkei sollen ihm sechs Millionen Menschen folgen. Die heute extrem einflussreiche Gülen-Bewegung wurde in den 1970er-Jahren gegründet und gründete zahlreiche Schulen, Universitäten, Sozialeinrichtungen, Studentenheime, Kulturzentren oder Wirtschaftsunternehmen in mehr als 50 Ländern, auch in Deutschland.
Eng verbunden damit ist die Nurcu-Bruderschaft. Außerdem gehören dazu zahlreiche Medien, allein in der Türkei über 20 Radiostationen, dazu TV-Sender und Zeitungen. Der Wert des Gülen-Imperiums wird auf 26 Milliarden Dollar geschätzt“, sagt Serap Çileli im Bayernkurier.
In der Türkei gibt es eine „defekte“ Demokratie, die als Haupthindernis im Wege der Stabilisierung des inneren und äußeren Verhältnisses des Landes steht. Und von dieser defekten Demokratie profitieren nur die Islamisten. Aus diesem Grund muss sich die Türkei endgültig zu einen Rechtssaat entwickeln.
Die EU muss den türkischen Demokraten helfen
Die Etablierung der westlichen Demokratie gefährdet den politischen Islam und führt das Land in den Fortschritt. Daher muss die Türkei in ihrem eigenen Interesse das Transition zu einer konsolidierten Demokratie bewerkstelligen, um sich als Teil der westlichen Welt zu etwablieren.
In diesem Zusammenhang ist aber eine massive Unterstützung der demokratischen und westlich orientierten türkischen Kräfte, die sich für den Säkularismus, die Modernisierung und Europäisierung ihres Landes und ihre Gesellschaft einsetzen, durch die EU unbedingt erforderlich. Ohne mithilfe des Westens ist es leider nicht möglich, gegen den politischen Islam und ihren Einfluss auf demokratischer Art und Weise vorzugehen und die Bevölkerung aufzuklären.
Mittlerweile befindet sich die Türkei aufgrund ihrer Islamisierungspolitik und anti-westliche Haltung durch die AKP-Regierung in einer Lage, in der eine mit den Grundwerten des Westens und der modernen Türkei, wie z.B. westlich orientierte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, laizistische Staatsordnung usw. abgerechnet wird.
Aus diesem Grund ist es angebracht, mit der Türkei unter der Führung von AKP und ihrer Führer Erdogan Beitrittsgespräche abzubrechen, weil die EU als ein Bündel von westlichen Normen und Werte ist, die nur mit demokratischen, laizistischen und europäischen Staaten Beitrittsverhandlungen durchführen darf.
Quelle: welt.de