Machtpoker um türkische Armee-Spitze

3.8.2010
Machtpoker um türkische Armee-Spitze

von Boris Kalnoky

Istanbul – Alle drei Jahre sieht die Türkei gebannt nach Ankara, wenn der Oberste Militärrat (YAS) zusammentritt. Dort, unter nomineller Führung des Ministerpräsidenten, aber unter dem Schatten der mächtigen Generale, wurde bisher entschieden, wer der neue, eigentliche Machthaber im Land ist: der jeweilige Generalstabschef.
Wer es wird, das weiß man immer schon lange im Voraus. Das Militär selbst bestimmt nach berechenbaren Regeln, wer die Armee führen soll. Bis vor einigen Jahren war das zugleich der Mann, der der jeweiligen Regierung im Hintergrund den Rahmen absteckte, innerhalb dessen sie regieren durfte.

Nach außen hin ändert sich auch dieses Jahr wenig: Auf den politischen Hardliner Ilker Basbug, der die Altersgrenze erreicht hat, folgt ab 30. August der ebenso als Falke geltende Isik Kosaner. Aber die Sitzung des Rats, die seit Sonntag andauert und erst Mittwoch enden wird, ist dennoch ein Meilenstein in der Geschichte der Türkei. Es könnte das Jahr werden, in dem die gewählte, islamisch geprägte Regierung das Privileg des säkularen Militärs bricht, seine Führer unangefochten selbst zu bestimmen.

Nicht weniger als drei Gipfeltreffen gab es in den Tagen vor der Sitzung, zweimal konferierte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit Basbug, und danach redete ihm auch Staatspräsident Abdullah Gül ins Gewissen. Ihre Botschaft an den Generalstabschef: Er möge davon absehen, ein Dutzend Generale zu befördern, die unter dem Verdacht stehen, in Putschpläne gegen die Regierung verwickelt zu sein.

Ob die Vorwürfe stimmen, steht nicht fest. Seit mehr als zwei Jahren läuft ein Verfahren gegen mehr als 200 Angeklagte, die einer „terroristischen Vereinigung“ angehören sollen, welche angeblich putschen wollte. Denkbar ist es – immerhin hat das Militär seit 1960 vier Regierungen gestürzt. Aber das Dossier ist voller Ungereimtheiten, und Kritiker werfen der Regierung vor, mit dem endlosen „Ergenekon“-Prozess Gegner und Kritiker mundtot machen zu wollen.
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Eine Woche vor der Sitzung ergingen plötzlich Haftbefehle gegen 28 Offiziere, deren Beförderung zur Debatte steht, darunter elf Generale und Admirale. Deshalb forderte die Regierung das Militär auf, auf die Beförderung dieser Männer zu verzichten. Damit würde eine Lawine losgetreten – das Machtgefüge im Militär geriete ins Wanken. Noch nie versuchte eine türkische Regierung so massiv das Privileg der Armee zu brechen, seine eigenen Personalentscheidungen zu treffen. Noch empfindlicher dürfte es die Armee treffen, wenn im September ein Verfassungsreferendum gelingt, das den Mechanismus der Personalpolitik im Militär ändern würde. Der jetzt tagende YAS-Rat wäre dann nicht mehr die letzte Instanz für Personalentscheidungen. Ob die Generalität dem Druck nachgibt, wird sich am Mittwoch zeigen – dann wird Staatspräsident Gül bekannt geben, wer befördert wurde und wer nicht.
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