Wie lang ist man eigentlich Migrant?

Mitglieder der türkischen Gemeinde demonstrieren für mehr Rechte vor dem Bundesinnenministerium in Berlin (Bild: AP Archiv)

Integrationsbeauftragte Maria Böhmer erklärt den Bundesbeirat für Migration

Maria Böhmer im Gespräch mit Friedbert Meurer

Er hat 32 Mitglieder und soll die Frage beantworten, wie Migranten und Deutsche zusammenleben wollen und können: Im Bundesbeirat für Integration hat Maria Böhmer Menschen versammelt, die selbst Migranten sind oder waren – und für die ein unvoreingenommenes Miteinander erste Priorität ist.

Mitglieder der türkischen Gemeinde demonstrieren für mehr Rechte vor dem Bundesinnenministerium in Berlin (Bild: AP Archiv)
Mitglieder der türkischen Gemeinde demonstrieren für mehr Rechte vor dem Bundesinnenministerium in Berlin (Bild: AP Archiv)

Friedbert Meurer: Wenn man die Frage stellt, was war für die Migranten in Deutschland in der letzten Zeit das wichtigste Ereignis, dann wird man wohl sagen, es war das Buch von Thilo Sarrazin, „Deutschland schafft sich ab“. Monatelang sorgte es für erregte Debatten. Eigentlich sollten ja solche Debatten in Gremien stattfinden, wie zum Beispiel der Deutschen Islam-Konferenz. Aber das Thema ist hoch emotional besetzt. Heute kommt erstmals der neue Bundesbeirat für Migration zusammen, also ein weiteres Gremium. – Am Telefon begrüße ich die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Maria Böhmer (CDU). Guten Morgen, Frau Böhmer.

Maria Böhmer: Ja guten Morgen!

Meurer: Brauchen wir noch ein neues Debattiergremium?

Böhmer: Es geht um mehr als ein Debattiergremium. Wir haben in der Integrationspolitik vor sechs Jahren umgesteuert und meine Maxime lautet, wir reden nicht übereinander, sondern miteinander, wir brauchen keine Zerrbilder, wir stellen uns der Probleme, aber wir sehen auch die Chancen für die Integration, und mit diesem Beirat will ich eine Beratungs- und eine Dialogstruktur schaffen für das Zukunftsthema Integration, denn gerade die Debatte, die Sie erwähnt haben, aus dem vergangenen Jahr hat gezeigt, der Beratungsbedarf und der Dialogbedarf ist nach wie vor groß.

Meurer: Sie sollen, Frau Böhmer, erst gegen einen solchen Bundesbeirat gewesen sein. Was hat Ihre Meinung geändert?

Böhmer: Nein, ich war immer dafür. Aber die Realisierung des Beirates hing davon ab: Gibt es die entsprechenden Mittel, die Strukturen für diesen Beirat? Das ist gelungen. Es ist jetzt eine Geschäftsstelle da und auch entsprechende Haushaltsmittel, sodass dieser Beirat auch wirklich wirksam arbeiten kann.

Meurer: Der Beirat besteht aus 32 Personen. Frau Böhmer, Sie sind die Vorsitzende. Und nur zehn Plätze werden von den Migrantenverbänden gestellt, zehn von 32. Ist das zu wenig?

Böhmer: Nein! Es geht ja darum, dass wir diesen Dialog führen. Das heißt, Migranten und diejenigen, die verankert sind in unserem Land, also die großen gesellschaftlichen Gruppen. Das heißt, die Arbeitgeberseite, die Arbeitnehmerseite, die Religionsgemeinschaften und die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, der Wissenschaftsbereich, und darüber hinaus sind auch Einzelpersönlichkeiten berufen worden. Das heißt, wir haben eine Vielfalt in diesem Beirat, die garantieren wird, dass wir einen sehr intensiven Dialog führen können über Grundsatzfragen der Integration, wie wollen wir zusammenleben, was bedeutet Vielfalt als Chance für unser Land, aber wir müssen auch über die Großbaustellen sprechen, Sprache, Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt.

Meurer: Aber zehn, ist das nicht zu wenig?

Böhmer: Also ich habe unter den Einzelpersönlichkeiten weitere Personen mit Migrationshintergrund berufen. Ich nenne einmal Nazan Eckes, deren Eltern aus der Türkei stammten, Moderatorin und Buchautorin. Ich nenne dazu auch Persönlichkeiten, die in verschiedenen Integrationsbereichen zu Hause sind. Das ist der Herr Toprak, der von der alevitischen Gemeinde stammt, dann Herr Bilgin, der aus dem Bereich kommt der Gesundheitsforschung. Das zeigt: Wir haben eine große Bandbreite, und ich habe mich auch ganz besonders gefreut, dass der frühere amerikanische Botschafter, Herr Kornblum, zugesagt hat, denn er soll den Blick von außen auf die Integration in Deutschland lenken und seine Erfahrung aus einer Familie mit einbringen, die selbst ausgewandert ist in die USA, und von daher glaube ich, dass wir eine gute Mischung haben.

Meurer: Was gehen Sie, Frau Böhmer, als Erstes an im Beirat?

Böhmer: Es geht mir in diesem Beirat auch um die Grundsatzfrage: Wie lang ist man eigentlich Migrant. Wir haben jetzt Menschen, die schon in der dritten und vierten Generation hier in Deutschland leben, und für gerade die jungen Menschen stellen sich die Fragen ganz anders als für die Väter- und Großväter-Generation.

Meurer: Das heißt, Frau Eckes beispielsweise, in Deutschland geboren wie viele mit Eltern aus Migrationsländern, Frau Eckes ist keine Migrantin mehr? Jemand der in Deutschland geboren ist, ist keine Migrantin mehr?

Böhmer: Wenn die Eltern Migranten sind, dann sind die Kinder eben auch noch Migranten. Aber sie gehört in unser Land und sie hat sehr eindrucksvoll beschrieben den Wechsel ihrer Familie von der Türkei nach Deutschland. Sie steht also genau für die Generation, die es erlebt haben, was es bedeutet, wenn die Eltern hier herkommen, damals als Gastarbeiter, wenn man hier Wurzeln schlägt und wenn man auch Karriere macht. Das ist der Lebensweg von Frau Eckes und ich glaube, er steht dafür, dass man sagen kann, er hat hohen Symbolcharakter, sie ist Brückenbauer und Vorbild. Und ich habe auch Jessie Jones im Beirat für den Deutschen Fußballbund, auch eine junge Frau die zeigt: der Aufstieg gelingt und wir können nach vorne schauen.

Meurer: Sie nannten ja gerade John Kornblum, den ehemaligen Botschafter der USA. Er ist Amerikaner, der auf amerikanischem Staatsboden geboren ist. Warum muss es hier Generationen dauern, bis jemand Deutscher ist?

Böhmer: Das ist richtig, was Sie fragen. Ich glaube, auch diese Frage müssen wir erörtern im Beirat, denn es geht ja darum, zum einen den Rahmen zu setzen von staatlicher Seite, was bedeutet es, wenn jemand schon länger hier ist, die Frage der Staatsbürgerschaft, der politischen Teilhabe verbindet sich, aber es ist auch die Frage an die Migranten selbst, nicht abseits stehen zu bleiben, sondern aktiv die Zukunft unseres Landes mitzugestalten, also auch Verantwortung zu übernehmen. Und ich glaube, ein solcher Beirat ist genau das Gremium, in dem man diesen Austausch intensiv führen kann, in dem man Impulse dann in unser Land gibt, Diskussionen auslöst und damit auch den Zusammenhalt und die Gemeinsamkeit stärkt.

Meurer: Heute kommt erstmals der 32köpfige Bundesbeirat für Integration zusammen. Ich sprach mit seiner Vorsitzenden, Staatsministerin Maria Böhmer (CDU). Frau Böhmer, danke und auf Wiederhören.

Böhmer: Danke, Ihnen auch!