„Wir sind alle Hrant Dink, wir sind alle Armenier“
Demonstranten erinnern an Dink
Pressefreiheit | 19.01.2011
Gedenken an ermordeten Journalisten Dink
Der armenisch-türkische Reporter Hrant Dink wurde vor vier Jahren, am 19. Januar 2007, vor seinem Zeitungsgebäude in Istanbul erschossen. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter kommt nur schleppend voran.
„Ja, ich mag mich unruhig fühlen wie eine Taube, aber ich weiß, dass in diesem Land kein Mensch einer Taube etwas zuleide tut.“ So drückte Hrant Dink, der Chefredakteur und Herausgeber der armenisch-türkischen Zeitung AGOS, seine Gefühle in seinem letzten Artikel aus. Kurz danach wurde er auf der Straße von einem minderjährigen Ultranationalisten erschossen.
Der mutmaßliche Täter wurde kurze Zeit später erfasst und der Prozess begann. Gegen dutzende mutmaßliche Hintermänner wurde ermittelt, zwei von ihnen sitzen ebenfalls in Haft und sind mitangeklagt. Zu einem Urteil ist das Gericht nach 15 Verhandlungstagen noch nicht gekommen. Dr. Raffi Kantian, verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift der deutsch-armenischen Gesellschaft, hat den Verlauf des Prozesses verfolgt: „Bislang ist ja nicht viel passiert. Man hat im Prinzip an der Oberfläche ein bisschen gekratzt, aber von den tiefen Schichten, also wer stand wirklich dahinter, ist bis heute nichts rausgekommen.“
Morddrohungen gegen Dink
Hrant Dink hat sich in den radikal-nationalistischen Kreisen unbeliebt gemacht, weil er Tabuthemen wie die Massaker gegen Armenier 1915 und Minderheitenrechte angesprochen hatte. Deshalb musste sich Dink ständig vor Gericht verantworten. Dink war wegen einiger Äußerungen in seinen Artikeln zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Die Straftat lautete: „Verunglimpfung des Türkentums“. Der Obergerichtshof hatte 2006 diese Entscheidung bestätigt. Daraufhin wurde Hrant Dink in der Öffentlichkeit bekannter und bekam mehrere Morddrohungen.
Straßburg verurteilt die Türkei
Nach seiner Ermordung befasste sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seinem Fall und kam zu dem Schluss, dass der türkische Staat ihm nicht genug Schutz gewährleistet hatte. Obwohl die Polizei von den Drohungen gegen Dink wusste unternahm sie nichts. Außerdem sei seine Meinungsfreiheit nicht respektiert worden und in seinem Fall sei nicht lückenlos ermittelt worden. Osman Okkan, Regisseur des Dokumentarfilms „Mordakte Hrant Dink – Armenier in der Türkei“, ist der Auffassung, dass sich die Situation immer noch nicht gebessert hat. Er meint, bisher sei kein Schritt getan worden, um gegen einige Beamte, die ihre Schutzpflicht vernachlässigten, zu ermitteln. „Obwohl es von der Untersuchungskommission der Regierung Berichte gab, wurde gegen sie nichts unternommen. Einige von ihnen wurden sogar befördert. Das ist für die Türkei eine Schande“, betont der Regisseur.
„Wir sind alle Hrant Dink, wir sind alle Armenier“
Die Zivilgesellschaft in der Türkei vergisst Hrant Dink allerdings nicht. Einige Journalisten schreiben regelmäßig über den Prozess und eine Gruppe von Menschen, die sich als „Freunde von Hrant Dink“ bezeichnen, stehen bei jedem Prozess vor der Gerichtstür.
Außerdem gründete seine Familie eine Stiftung. Sie verleiht jedes Jahr drei Personen, die sich mit ihrer Arbeit für eine friedvollere, freiere und faire Welt einsetzen, den „Internationalen Hrant Dink Preis“.
Osman Okkan zufolge haben viele Bürger ihren Protest offen gezeigt: „Nach der Ermordung von Hrant Dink sind hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen und es ist etwas passiert, was man sich nie hätte vorstellen können. Sie haben gesagt: „Wir sind alle Armenier“. Dadurch haben sie klare Solidarität mit den Armeniern gezeigt. Dadurch wurde es möglich, über die geschlossenen Kapitel der Geschichte zu sprechen. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung.“
Hrant Dink, der für den Dialog und für die Verständigung der Völker war, geriet auch am vierten Jahrestag seines Todes nicht in Vergessenheit.
Autorin: Başak Özay
Redaktion: Gero Rueter