Ankaras Außenpolitik verunsichert USA

Jüngste populistische Reden Erdogans stützen Kritik in Wikileaks-Depeschen

Den Großteil des Respekts, der ihm entgegengebracht wird, verdankt Ahmet Davutoglu, der türkische Außenminister, dem Umstand, dass er Universitätsdozent war und ein Buch mit dem Titel „Strategische Tiefe“ veröffentlicht hat. Die türkische Außenpolitik erscheint dem Westen jedoch weder strategisch, noch sonderlich tief gehend. Die „Wikileaks“ -Depeschen zeigen die Verunsicherung der USA über die Gewichtsverlagerung des Nato-Partners Türkei Richtung Osten, die Anbiederung an die „arabische Straße“ , das Herunterspielen des iranischen Atomprogramms.

Der türkische Premierminister Tayyip Erdogan hat erst letzte Woche wieder ein Beispiel für diesen Kurswechsel geliefert. Kritiker nennt er dabei „bösartig“ und unterstellt ihnen „andere Absichten“. In einer Rede in einem Dorf im Norden des Libanon griff Erdogan erneut Israel wegen des Sturms auf die Gaza-Hilfsflotte an: „Du begehst einen Akt der Piraterie im Mittelmeer, du beginnst Staatsterror im Mittelmeer, du schlachtest blutdürstig meine neun Mitbürger, die Nahrung für Babies brachten, und dann erwartest du von uns, ruhig zu sein. Wir werden nicht ruhig sein!“

Bewunderung für Ankara

Populistische Reden in arabischen Ländern, die an den Regimen vorbei direkt ihre Hörer im Volk finden sollen, sind Teil der Davutoglu-Strategie, wie in den Depeschen der US-Botschaft in Ankara festgestellt wird. Der türkische Außenminister und sein Regierungschef glaubten an die Bewunderung des wirtschaftlichen Erfolgs und der Macht der Türkei in der Bevölkerung in Nahost, heißt es etwa in einem Schreiben des damaligen Botschafters James Jeffrey an das State Department vom Jänner dieses Jahres.

Davutoglu, ein Historiker aus der Region um die konservativ-islamische Stadt Konya in Zentralanatolien, verfolgt seine Außenpolitik mit der Idee des osmanischen Reichs im Hinterkopf, wo der Balkan wie der Nahe Osten in einem harmonischen Verbund gelebt hätten. Einen „außerordentlich gefährlichen Mann“ , soll Verteidigungsminister Vecdi Gönül seinen Kabinettskollegen genannt haben, was Gönül allerdings dementiert hat. Vor allem die Amerikaner reagieren aber allergisch auf Davutoglus und Erdogans Politik der „null Probleme mit den Nachbarn“ und deren Behauptung, nur die Türkei begreife wirklich die Interessen der Region.

In Wirklichkeit aber, so halten politische Beobachter in der Türkei entgegen, sei niemand auf dem Balkan oder in Nahost von der Idee einer Rückkehr des osmanischen Reichs begeistert. Davutoglus Außenpolitik habe Schwierigkeiten, sich der Realität anzupassen. „Sie hat außerdem keinen einzigen nennenswerten Erfolg erzielt“, urteilte Jeffrey. (Markus Bernath aus Ankara/DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2010)

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