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Türkei streitet über Verfassungsreform
VON THOMAS SEIBERT
Ein Galgen, Folterwerkzeuge, Bilder der Opfer: Eindringlich erinnert ein neues Museum in der türkischen Hauptstadt Ankara an den Militärputsch vom 12. September 1980. Mehr als 600 000 Menschen wurden damals festgenommen, Tausende wurden gefoltert und getötet. Die Folgen des Putsches sind bis heute spürbar, denn die Generäle hinterließen eine Verfassung, die der Demokratie strenge Fesseln anlegt. Am 30. Jahrestag des Putsches stimmen die Türken am Sonntag über Verfassungsreformen ab, die einige dieser Fesseln lösen sollen. Das sagt zumindest die Regierung. Die Opposition sieht das anders und will das Projekt ablehnen. So wird das Verfassungsreferendum zu einer einer Vertrauensabstimmung über die Regierung.
Im Wahlkampf beharkten sich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu mit schweren Vorwürfen. Erdogan bezeichnete alle Gegner seiner Verfassungsreform als „Putschisten“. Kilicdaroglu warf Erdogan vor, aus der Türkei einen Polizeistaat machen zu sollen. Wenn die Verfassungsreform angenommen werden sollte, schärfte der Oppositionschef seinen Zuhörern bei einer Rede in Antalya ein, „können Sie eines Morgens von der Polizei abgeholt werden und für Monate im Gefängnis verschwinden“.
Die Umfragen sagen ein knappes Ergebnis voraus. Erdogan rechnet mit 55 Prozent Ja-Stimmen. Das würde reichen, wäre aber ein Zeichen für die Spaltung der Türkei. Vielen falle es schwer, sich trotz der Verbesserungen durch die Reformen zu einem Ja durchzuringen, weil sie fürchteten, dass Erdogans AKP alle Macht im Land an sich reißen wolle, sagt der Istanbuler Soziologe Ferhat Kentel: „Auf der einen Seite steht die Hoffnung auf Veränderung, auf der anderen Seite die Frage, ob man Erdogan vertrauen soll.“ Der AKP stehen die größten Oppositionsparteien gegenüber: Kilicdaroglus linksnationale CHP und die rechtsgerichtete MHP ebenso wie die Kurdenpartei BDP.
Dabei würde eine große Mehrheit der Türken einigen Änderungen in Erdogans Paket sofort zustimmen. So sollen die Rechte von Frauen, Kindern, Behinderten und Gewerkschaften gestärkt, die politische Macht der Militärs eingeschränkt werden. Die Türken können allerdings nur über das Gesamtpaket abstimmen.
Nicht nur daran stößt sich die Opposition. Die CHP als Vertreterin der traditionellen Eliten der Türkei kritisiert eine geplante Justizreform. Erdogan will den Aufbau des Verfassungsgerichts und eines Gremiums zur Ernennung von Richtern und Staatsanwälten neu ordnen. Gegner sehen das als Versuch des Premiers, die als regierungskritisch bekannte Justiz an die Kandare zu nehmen; im Hintergrund steht der Dauervorwurf, Erdogans AKP bereite die islamistische Machtergreifung vor.
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