Rekordwachstum mit Achillesferse

Die türkische Wirtschaft wächst rasant. Das Land hat aber auch seine Achillesferse, denn während sich ausländische Firmen über die steigende Konsumlust der Türken freuen, warnen Kritiker vor einer Kreditblase.

Istanbul/Wien. Die türkische Wirtschaft wächst im Rekordtempo. Im ersten Quartal 2011 stieg die Wirtschaftsleistung (BIP) um elf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit ist es wahrscheinlich, dass das türkische BIP in diesem Jahr wieder im Bereich zwischen acht und neun Prozent wachsen wird. Und das nach einem Plus von 8,9 Prozent im Vorjahr.

Der asiatische Tiger am Rande Europas hat aber auch seine Achillesferse. Dies zeigt unter anderem ein Blick auf die Außenhandelsbilanz. In den ersten fünf Monaten des Jahres nahmen die Exporte zwar um 20 Prozent zu, die Importe aber um 44 Prozent. Im Mai hat die türkische Wirtschaft nur noch halb so viel exportiert wie importiert. Dabei beginnt die Dynamik insbesondere bei den Exporten nachzulassen.

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35 Prozent mehr Kredite

Diese Entwicklung zeigt deutlich, dass das hohe Wachstum vor allem vom Konsum befeuert wird, der wiederum durch wahllos vergebene Kredite angeheizt wird. Das Kreditvolumen wächst seit Längerem konstant um etwa 35 Prozent, die Konsumentenkredite sogar um 42 Prozent auf Jahresbasis. Nachdem der ehemalige Chef der Zentralbank, Durmuş Yilmaz, noch einige zaghafte Versuche unternommen hat, das Kreditwachstum durch eine Erhöhung der Mindestreserven einzuschränken, lässt sein Nachfolger Erdem Başçi kaum noch einen Hang zum Zügeln erkennen. Anders als erwartet hat weder die Zentralbank noch die Regierung nach der Wahl am 12. Juni Maßnahmen zur Drosselung der Konjunktur eingeleitet. Zwar will die Zentralbank bis Jahresende das Kreditwachstum auf noch immer erhebliche 25 Prozent einschränken, doch mit Maßnahmen in diese Richtung ist man behutsam.

Konsumgüter auf Pump

In lokalen Medien wird zwar immer wieder darauf verwiesen, dass die türkischen Haushalte gemessen am BIP im internationalen Vergleich noch immer wenig verschuldet sind. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn anders als in Europa stecken die Kredite in der Türkei weniger in überschaubaren und wenigstens zum Teil gesicherten Hypotheken, sondern werden für Konsumgüter ausgegeben und zwar von Leuten, deren Kreditwürdigkeit häufig nicht geprüft wurde. Zwar ist die Zahl der nicht bedienten Kredite 2010 gegenüber dem Krisenjahr 2009 leicht zurückgegangen, aber das Problem liegt in der Akkumulation von Krediten, die sich nicht sofort in einer höheren Ausfallquote zeigen muss.

Die Türkei wächst aufgrund von Krediten, die türkische Banken auf dem internationalen Markt derzeit sehr billig aufnehmen können und die sie an die Konsumenten weiterreichen.

Verflechtung mit der EU nimmt zu

Dagegen halten sich ausländische Investoren trotz des bereits im Vorjahr sichtbaren Wachstums auffallend zurück. Das „Wall Street Journal“ resümierte, dass die Istanbuler Börse von den Börsen aller aufstrebenden Märkte in diesem Jahr die schlechteste Entwicklung zeige. Auch der Wert der türkischen Lira ist etwas gefallen. Dies hätte eigentlich der wachsenden Schere zwischen Exporten und Importen entgegenwirken müssen. Dass sich diese Schere trotzdem auftut, ist daher umso bemerkenswerter.

Die Unternehmen, die bereits im Land sind, bereuen ihren Schritt hingegen nicht. Bei einer Umfrage, die das Beratungsunternehmen Horvath & Partners unter 52 Topmanagern von österreichischen, deutschen und Schweizer Unternehmen in der Türkei durchgeführt hatte, gaben 94 Prozent an, dass sie wieder zumindest ebenso viel oder mehr in das Land investieren würden.

Für Firmen wie etwa die heimische OMV oder den Verbund ist das Land mit seinen 78 Millionen Einwohnern vor allem auch als Absatzmarkt interessant. Die fehlende Aussicht auf einen baldigen EU-Beitritt der Türkei stört die befragten Manager offenbar nicht. Nur zwei Prozent erwarten, dass das Land in den nächsten zehn Jahren EU-Mitglied werden wird.

Auch in der Türkei selbst hat sich angesichts der Eurokrise der Appetit auf einen EU-Beitritt weiter abgeschwächt. Die politische Verflechtung mit der EU nimmt auch ohne offizielle Mitgliedschaft zu. Denn anders als erwartet profitiert die Türkei derzeit weniger von den aufstrebenden Märkten in ihrem östlichen und südlichen Umfeld als von Europa. Der Anteil der EU an den Exporten der Türkei ist in den ersten fünf Monaten hingegen nach 42 Prozent im Vorjahr auf fast 47 Prozent gewachsen.

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