Wenn Deutschland Türken verschreckt

Deutschland hat die Themen Zuwanderung und Integration lange verschlafen. Das rächt sich nun mit dramatischen Folgen. In der Debatte geht es fast nur um die Defizite von Zugewanderten. Ein Kommentar zur Integrationsdebatte.

Politik denkt meist nur noch in Monaten. Nicht mehr in Generationen. Das ist fatal. Und daran ändert auch eine schnelllebige Zeit nichts. In der Umwelt- und Atomkraftdebatte steht dies jedem nur allzu deutlich vor Augen. Aber auch die Art und Weise, wie Deutschland über die Jahrzehnte das Thema Zuwanderung und Integration behandelte und praktisch verschlief, rächt sich jetzt mit dramatischen Folgen. Es rächt sich auch deshalb, weil mangelnde Planung des Zuzugs und die Vernachlässigung der zugewanderten Bevölkerung mit einer folgenreichen demografischen und damit strukturellen Veränderung unserer Gesellschaft zusammenfallen. Da ruft eine alternde, geburtenfaule Gesellschaft nach gut ausgebildeten Fachkräften für ihre hoch entwickelte Wirtschaft. Und hat damit gleich mehrere Probleme.

Ein rein deutscher Nachwuchs ist nicht mehr zu haben. Aber aus dem Ausland kommen zu wenige herein. Stattdessen steigt als Ergebnis verfehlter Integrationspolitik die Zahl der Unqualifizierten unter den ehemals Zugewanderten. Schlimmer noch: Diejenigen, die hoch qualifiziert wurden, wandern zu Tausenden ab. Unter ihnen sind fatalerweise zunehmend viele aus der Elite der deutsch-türkischen Zuwanderer.

Zum Beispiel Rahükal Turgut. gebürtig aus Wesel, die jetzt in Istanbul für einen deutsch-türkischen Verlag arbeitet. Es sind junge und gut ausgebildete Leute wie sie, die Deutschland den Rücken kehren: Informatiker, Betriebswirte, Kommunikationswissenschaftler. Der „deutsche Stammtisch“ allein in Istanbul zählt bereits über 1000 Mitglieder. „Wir können auf keinen Einzigen von ihnen verzichten“, sagt der Zukunftsforscher Kamuran Sezer.

Aber was ist zu tun? Akademiker waren schon immer mobiler als andere Bevölkerungsgruppen. Doch im Fall der hier aufgewachsenen Türken kommt noch etwas anderes hinzu: Viele fühlen sich nicht richtig heimisch in Deutschland. Es fehlt das Gefühl dazuzugehören. Die Thesen des Ex-Bankers Thilo Sarrazin über ein Deutschland, das sich angeblich abschafft, weil es zu viele dumme Ausländer beheimatet, haben sicher nicht wenig dazu beigetragen. Aber es fehlt auch an der eigenen Vermarktung.

Stattdessen bestimmt die Debatte über die unleugbaren Defizite eines Teils der Zugewanderten das Feld. Junge, gut ausgebildete türkischstämmige Deutsche werden zu wenig wahrgenommen. Man kennt sie häufig nicht. Und ihnen selber ist es aus gutem Grund oftmals auch lieber, für Italiener oder Griechen gehalten zu werden. Daran muss sich dringend etwas ändern. Erst recht an der Einstellungspraxis so mancher Personalabteilung.

Gleiches gilt für die Anwerbepraxis ausländischer Fachkräfte. Bisher ist sie eher ein Gnadenerlass. Die Versuche, das zu ändern, sind immer noch halbherzig. Deutschland muss mit seinen Stärken selbstbewusst und freundlich werben. Rechtssicherheit, Infrastruktur, Lebensqualität und die Stärken der mittelständischen Wirtschaft. Und Englisch spricht man im Übrigen auch überall.

Die Bürger sind dabei durchaus pragmatisch. Sie wollen nur, dass keine schlecht ausgebildeten Ausländer ins Land kommen. Und sie wissen auch, dass viel, viel Geld in die frühkindliche Förderung eines wachsenden Teils der Zuwandererkinder fließen muss. Nur so kann der gewaltige gesellschaftspolitische Zündstoff, der sich immer noch anhäuft, entschärft werden.