Turkvita: Start des ersten deutsch-türkischen Jobportals

„Jung, männlich, weiß” – so beschreibt Dr. Ediz Bökli, der Psychologie und Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Osnabrück, Bochum und Münster studierte, das Schema, nach dem deutsche Unternehmen Führungskräfte suchen. Seit Ende Oktober 2010 betreibt er das erste deutsch-türkische Jobportal turkvita. Mit diesem Karriereportal, welches Hochschulabsolventen und Professionals mit türkischem Background anspricht, soll die Besetzung von Schlüsselpositionen, die beispielsweise interkulturelle Kompetenzen und Mehrsprachigkeit erfordern, im In- und Ausland erleichtert werden. Im Interview verrät der Dr. Ediz Bökli, was er von anonymen Bewerbungen hält und warum deutsch-türkische Führungskräfte frustriert sind.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst auf dem deutschen Arbeitsmarkt gemacht?

Ich habe bis auf einen Fall keine gravierenden Benachteiligungen erfahren. In dem einen Fall ging es um ein Dax-Unternehmen, das 2004 für ein Team Verstärkung brauchte. Ich bekam die Stelle nicht, da sie befürchteten, dass das Team, bestehend nur aus deutschen Mitarbeitern, eventuell mit meiner interkulturellen Herkunft Probleme haben könnte. Natürlich war das keine offizielle Mitteilung, aber mein Ansprechpartner teilte mir dies vertraulich mit, nachdem er mir einige Tage zuvor zu verstehen gegeben hatte, dass ich der geeignetste Kandidat unter den Bewerbern war.

Fakt ist, dass ich in meiner Tätigkeit als Personalberater mit vielen türkischen Akademikern gesprochen habe, die sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt benachteiligt und diskriminiert fühlten.

Wieviele türkische Akademiker leben zurzeit in Deutschland?

Man kann davon ausgehen, dass mindestens 300.000 türkische Akademiker in Deutschland leben.

Wieviele Akademiker sind in Ihrer Kartei, und aus welchen Branchen stammen sie?

In meinem Netzwerk kann ich mindestens auf 40.000 türkische Akademiker in Deutschland zurückgreifen. Diese Akademiker sind in diversen Branchen vertreten. Viele türkische Akademiker sind vor Allem in Ingenieursberufen zu finden.

In welchen Kommunikationskanälen erreichen Sie Ihre Kandidaten?

Wir erreichen unsere Kandidaten hauptsächlich in virtuellen Netzwerken und sprechen sie dort gezielt an.

Wodurch sind diese Führungskräfte am stärksten frustriert?

In keinem Dax-oder MDax-Unternehmen sitzt ein Türkischstämmiger im Vorstand.  Die Karriereleiter geht nur bis zu einer bestimmten Ebene, und dann ist Schluss. Das ist sehr frustrierend, wenn man bedenkt, dass man die gleichen Voraussetzungen erfüllt bezüglich der Qualifikation wie z.B. das gleiche Studium im selben Land. Die Unternehmen haben den Mehrwert der bikulturellen Kandidaten in Deutschland leider noch nicht wahrgenommen.

Welche Konsequenzen ziehen jene Führungskräfte?

Es führt unweigerlich dazu, dass sich viele karriereorientierte türkische Akademiker auf das Ausland konzentrieren – vorwiegend auf die Türkei, wo es mittlerweile 25.000 internationale Unternehmen gibt. Dort werden Sie in der Führungsebene eingesetzt und haben viel bessere Karrierechancen.

Diversity-Management gilt als aktuelles Trendthema im HR-Bereich – worin sehen Sie die Vorteile speziell in der Zusammenarbeit von deutsch-türkischen Arbeitnehmern?

Deutsch-türkische Kandidaten verfügen über eine interkulturelle Kompetenz und Mehrsprachigkeit – Skills, die in der Zeit der Globalisierung und Internationalisierung unentbehrlich sind. Sie vereinen türkische Attribute wie Kreativität, Innovation und deutsche Attribute wie Methodik und Systematik. Aufgrund dieses Mentalitäts-Mixes ist diese Zielgruppe in der Türkei bei internationalen Unternehmen sehr gefragt.

Was müsste sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt tun, damit diese  Vorteile im vollen Umfang ausgenutzt werden können?

Unternehmen müssten viel aktiver auf vernachlässigte Segmente zugehen, diese gezielt anwerben und ansprechen. Sie sollten ihre Wertschätzung zeigen und dadurch Wertschöpfung erlangen. Sie sollten Diversity praktizieren und nicht als Lippenbekenntnis leben.

Deutsche Unternehmen suchen immer noch nach dem Schemata „jung, männlich, weiß“, obwohl nur noch 17% des Bewerberpools diese Kriterien beinhalten.

Was halten Sie von anonymisierten Bewerbungen?

Gut gemeint, aber uneffektiv, man verlagert die Probleme auf das Erstgespräch. Außerdem birgt dies enorme psychische Unsicherheiten bei der Dyade Personaler Bewerber.