Rezension: Islamverherrlichung

Studie: Diskriminierung des Islam in Deutschland besonders stark

 

Rezension

Schneiders, Thorsten (Hrsg.), 2010: Islamverherrlichung. Wenn die Kritik zum Tabu wird. 401 S. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, ISBN 978-3-531-16258-4.

„In den Dialog treten heißt, eingestehen, dass auch der Andere Recht haben kann“ (Hans Georg Gadamer) mit diesem Zitat endet Haci-Halil Uslucan seinen Beitrag innerhalb des umfangreichen Sammelbandes von Gerald Schneiders. Auch in diesem Band liest sich das „Who is Who“ der Islam- und Integrations-Gallionsfiguren Deutschlands, wie etwa Katajun Amirpur, Hartmut Bobzin, Kemal Bozay, Rainer Brunner, Rabeya Müller u.a.

Der gesamte Band ist aufgeteilt in drei große Kapitel:

  • Grundlagen des theoretischen Diskurses,
  • Gegenwärtiger Umgang mit dem islamischen Erbe in Europa
  • Verhalten und Eigendarstellung von Muslimen in Deutschland

 

Ein Vierhundertseitenwerk zu rezensieren stellt eine besondere Herausforderung dar, wenn die wissenschaftlich besonders wertvollen Erkenntnisse kurz und knapp dargestellt werden sollen. An dieser Stelle kann lediglich eine Auswahl aus den vielfältigen Erkenntnissen wiedergegeben werden.

Wussten Sie, dass es drei Hauptansätze zur Interpretation der frühen Quellen zum Islam gibt? David Kiltz verdeutlicht dies mittels des traditionalistischen, des revisionistischen und des integrativen Ansatzes. (Vgl. S. 19 ff.) In seinem Beitrag „Schatten über den Anfängen – Was sagen frühe Quellen zum Islam über das aus, was wirklich war?“ geht er – vereinfacht ausgedrückt – drei Erklärungsansätzen früherer Quellen nach. Hierbei unterscheidet er innerislamische literarische Quellen, außerislamische literarische Quellen und Realien bzw. Inschriften und bildliche Darstellungen.

Die „Traditionalisten“ in der islamischen Welt folgen nach Kiltz im Wesentlichen der innerislamischen Überlieferung, d.h. der Tradition. Dabei wird diese als weitgehend historisch korrekt angesehen. In der traditionellen westlichen Islamwissenschaft werden nach Kiltz die klassischen islamischen Werke nach kritischer Sichtung ebenfalls als wesentliche Basis für die frühislamische Geschichte verwendet. (Vgl. S. 20) Zu den Vertretern der „klassischen Schule“ werden bspw. William Montgomery Watt und Rudi Paret gezählt.

Im revisionistischen Ansatz werden die islamischen Prophetenbiographien und Erzählungen zu historischen Ereignissen als „heilsgeschichtliche“ Konstrukte abgelehnt. John Wansbrough, Patricia Crone und Michael Cook werden  hierbei zu den bekannten Vertretern dieser Richtung gezählt. Crone habe sogar versucht, ganz ohne traditionelle islamische Quellen  eine Rekonstruktion der frühislamischen Geschichte vorzunehmen und sich dabei nur mit außerislamischen Quellen befasst. (vgl. S. 21). Der vor allem bekannteste Vertreter der revisionistischen Richtung ist der Islamwissenschaftler Muhammad Sven Kalisch, der die Existenz des Propheten „Muhhammad“ gemäß dieser Richtung negiert. Seiner Ansicht nach hat es den Propheten nicht gegeben. (Vgl. S. 21)

Der dritte als „integrative“ Schule bezeichnete Ansatz erachtet die Herkunft des Propheten Muhammed aus Mekka als wahrscheinlich und versucht die verschiedenen Quellen zu harmonisieren. Hierbei soll der Blick „von außen“ helfen, den Koran nicht als historisch unmittelbar auswertbare Quelle zu sehen, sondern als literarisch-kodierte Aussage über seine Zeit und über seine Genese. Zu den Vertretern dieses Ansatzes werden u.a. Angelika Neuwirth, Gabriel Said Reynolds, Michael Cuypers etc. gezählt. (Vgl. S. 26)

Im Beitrag von Felix Körner „Der Koran ist mehr als die Aufforderung, anständig zu sein. Hermeneutische Neuansätze zur historisch-kritischen Auslegung in der Türkei“ werden türkische Theologen und ihre historisch-kritische Schriftauslegung näher betrachtet. (Vgl. S. 29 ff.) Er versucht dies am Beispiel der Neuansätze von zwei türkischen Wissenschaftlern namens Mehmet Pacaci und Ömer Özsoy darzustellen. Beide haben beachtliche akademisch-theologische Karrieren. Mehmet Pacaci arbeitet im türkischen Staatsdienst als Religionsattaché in Washington D.C. und Ömer Özsoy als Professor für Islamische Religion an der Universität Frankfurt. Körner konstatiert den beiden „ein hohes Maß an historisch-kritischem Denken“: sie berücksichtigen u.a.

  • das Bezogenheitskriterium, d.h. der Koran ist kontextbezogen zu verstehen, auszulegen und zu rekonstruieren;
  • das Beschränktheitskriterium, d.h. der Koran kann hinsichtlich seiner Botschaft und Formulierung unterschiedlich verstanden werden. Damit ist ein Verständnis für die Beschränktheit von Formulierungen zu zeigen.
  • das Abstands-Kriterium, d.h. Skepsis gegenüber der Verschriftlichung des Koran dahingehend zu zeigen als dass der Leser den Appell im Koran, die angestrebte Suggestion wie auch den Unterscheid zwischen zeitgenössischem und dem koranischen Arabisch bewusst und mit geschichtlichem Abstand versteht.

Die kritische Reflexion der Historizität und der Gegenwart in der theologischen Auslegung sei mittels der beiden Wissenschaftler in der türkischen islamischen Theologie nachvollziehbar geworden. (Vgl. S. 43) Dies habe Aussicht auf großen Erfolg für die Zukunft.

In diesem Sinne kann das Zitat von Thomas Morus im Beitrag von Ömer Özsoy und Serdar Günes wiedergegeben werden, wonach die Tradition nicht das Halten der Asche, „sondern das Weitergeben der Flamme“ (S. 82) der neuen islamisch-theologischen Erkenntnisse ist. Im Sammelband wird deutlich, dass ein geistiger Aufbruch in ein neues Zeitalter im gegenseitigen Austausch der Religionen und Kulturen schon längst begonnen hat.  Denn wie Özsoy/Günes schreiben, ist das, was uns als fertiges Produkt der islamischen Tradition vorliegt, die gewachsene Interaktion mit dem Abendland. (Vgl. S. 81)

Die Überschrift des Sammelbandes verweist nach eingehendem Studium der einzelnen Beiträge darauf,  dass in diesem Band solche Kritiker zu Worte kommen, die ihren Beitrag für die Weiterentwicklung der islamischen Theologie, Kultur etc. durch wertvolle Kritik leisten. Daher passt die Überschrift der „Islamfreundlichkeit“ und ihre Gegenüberstellung zum ersten Sammelband „Islamfeindlichkeit“: im ersten Sammelband geht es um die Darstellung teilweise nicht konstruktiver bis hin zu vernichtender Kritik; im zweiten Sammelband um die Darstellung einer eher als wohlwollend zu bezeichnenden Kritik am Islam. Beide Sammelbände verdienen eine exzeptionelle Stellung innerhalb der Wissenschaft.

Askim Müller-Bozkurt, Kerpen