12.02.2011
Vatikan: »Multikulti« ist gescheitert
Dialog starker Identitäten gefordert
Der Vatikan hat das als »Multikulti« bezeichnete Zusammenleben verschiedener Kulturen in westlichen Ländern für gescheitert erklärt. Damit liegt er auf einer Linie mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy.
Rom/Paris (epd/AFP/ND). An Stelle des Multikulturalismus müsse »ein respektvoller Dialog starker kultureller Identitäten« treten, forderte der vatikanische Kulturminister, Kardinal Gianfranco Ravasi, laut einem Bericht der Mailänder Tageszeitung »Corriere della Sera« vom Freitag. Der Präsident des Päpstlichen Kulturrates kündigte in diesem Zusammenhang ein offizielles Vatikandokument an.
Seit der Antike hätten Kulturen nebeneinander existiert, sagte der Kardinal. Vor allem in Großstädten habe das Zusammenleben jedoch mittlerweile zum Zusammenstoß unterschiedlicher Formen von Fundamentalismus geführt. »Man muss für Auseinandersetzungen sorgen, die nicht zum Zusammenstoß führen«, betonte Ravasi, der im Auftrag des Papstes bei hochkarätig besetzten Begegnungen an Universitäten das Gespräch mit Nichtgläubigen sucht.
Der Kurienkardinal warnte vor einer »doppelten Krankheit« in Europa, die einerseits durch eine aggressiv vertretene Identität auch von Christen bedingt sei, andererseits von »kulturellem Synkretismus, Oberflächlichkeit, Banalität, Dummheit, mangelnder Moral, Farblosigkeit und einem herrschenden kulturellen Nebel«. »Multikulti« habe zu einem »Duell« um Vormacht geführt, so Ravasi. Die von ihm geforderte »Interkulturalität« verglich er mit einem »Duett«, bei dem zwei starke aber unterschiedliche Identitäten sich nicht einander angleichen, sondern in einen Dialog treten.
Auch Frankreichs Staatschef Sarkozy hat den Multikulturalismus in Europa für gescheitert erklärt. »In allen Demokratien hat man sich zu sehr mit der Identität desjenigen beschäftigt, der zu uns kam, und nicht genug mit der Identität des Landes, das ihn aufgenommen hat«, sagte Sarkozy im französischen Fernsehsender TF1.
»Wir wollen keine Gesellschaft, in der eine Gemeinschaft neben der anderen besteht.« Wer nach Frankreich komme, müsse »in einer einzigen Gesellschaft, der nationalen Gesellschaft« aufgehen, forderte der Präsident. »Wenn man das nicht akzeptiert, kommt man nicht nach Frankreich.« Im Übrigen könne Frankreich nicht jeden aufnehmen, »sonst explodiert unser Immigrationssystem«.
Die muslimischen Mitbürger müssten ganz normal leben und ihre Religion ausüben können wie etwa christliche oder jüdische Staatsbürger, so Sarkozy. Aber »wir sind ein laizistisches Land«, Kirche und Staat seien getrennt. »Wir wollen nicht, dass auf demonstrative Weise auf der Straße gebetet wird.« Frankreich wolle, dass Männer und Frauen gleichgestellt seien, dass auch kleine Mädchen zur Schule gehen dürften und dass Prediger nicht zu Gewalt aufriefen, betonte der Staatschef.
»Meine Antwort ist eindeutig«, sagte Sarkozy auf die Frage, ob der Multikulturalismus gescheitert sei. »Ja, es ist ein Scheitern.« Er sei in dieser Frage der gleichen Meinung wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister David Cameron.
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