Migrantenland
A. Bozkurt
Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie lange – zeitlich gesehen – ein Mensch laufen muss, um von einem Land in ein anderes zu migrieren?
Ein Mensch migriert von einem Land ins andere – einige zu Fuß, andere mit Auto, mit dem Flugzeug. Wenn nun dieser Mensch immigriert ist, dann ist er im Zielland vom Status her „eingewandert“. Dieser Status des Eingewanderten wird ebenfalls von Fall zu Fall von einigen Monaten bis hin zu – im Falle der Türken und Muslimen – mehreren Jahrzehnten aufrechterhalten. Hier geht es schlichtweg um die zeitliche Dimension des Migrationsprozesses. Es ist erstaunlich, was der menschliche Geist bewirken kann: er kann die zeitliche Dimension verkürzen oder verlängern.
Daher ist die zeitliche Dimension der Migration aufregend und spannend. Einige Menschengruppen sind schon Teil eines Landes, noch bevor sie ins Land eingewandert /migriert sind wie z.B. Russlanddeutsche. Sie können jahrzehntelang, Jahrhundertelang außerhalb Deutschlands leben und gehören doch nicht zur Gruppe der Migranten/Eingewanderten – auch wenn sie weder Deutsch sprechen noch die Kultur und die Politik dieses Landes kennen. Aber sie sind im „Geiste und im Sinne“ schon „Deutsche“. D.h. Deutschsein ist Nicht-Migrant-Sein bzw. Nicht-Eingewandert-Sein. Diesen scheinbaren Unterschied muss man erst verstehen, um die zeitliche Dimension des „Eingewandertseins“ auch nach vierzig Jahren auf Türken und Muslime übertragen zu können.
Die Enquete-Kommission „Integration und Migration in Rheinland-Pfalz“ habe im Dezember 2010 ihre Arbeit nach über zwei Jahren abgeschlossen. Der Abschlussbericht enthalte Informationen und Analysen über die Lebenssituation von Migranten in Rheinland-Pfalz. Darin, so der integrationspolitische Sprecher, Dieter Klöckner (SPD), wurde festgestellt, dass der Begriff „Migrant“ diskriminierend sei.
Er sagt nicht, dass der Begriff an sich für deutsche Verhältnisse unlogisch und nicht rational genug ist, um die Realität zu beschreiben, sondern dass es diskriminierend ist. Die Begründung dafür wäre sicherlich umso interessanter gewesen, warum es diskriminierend ist.
In Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, ist das Denken ausgeprägterweise durch rationales Handeln bestimmt. Da wundert es doch, dass solche Begriffe wie Migrant und Eingewanderte überhaupt für eine seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Menschengruppe Verwendung findet – und auch noch amtlich gefördert. Noch besser wird es beim Begriff des „Bestandsausländers“. Hier wurde die deutsche Rationalität in gewisser Weise ad absurdum geführt, oder was würden sie unter dem Begriff des „Bestandsdeutschen“ verstehen?
Wenn nun sich die zeitliche Dimension über einige Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte erstrecken kann, sind dann nicht auch selbst die Deutschen Ursprungs-Migranten? Und könnten wir unser Deutschland dann nicht einfach „Migrantenland“ nennen? Und ist es nicht so, dass die deutsche Sprache sich selbst so oft geändert hat und so verschiedene Dialekte hat, dass man sich nicht einmal gegenseitig versteht, ohne einen Übersetzer zu haben?
D.h. im Grunde genommen ist der Spruch „wie sind überall Ausländer“ in unserem Migranten-Begriffs-Falle: „wir sind alle Migranten“ im Sinne der deutschen Logik und Rationalität. Somit leben wir auch alle in einem „Migrantenland“ mit deutscher Sprache.