Nachts auf Friedhöfen Tee trinken und dabei Wasserpfeife rauchen? Mit einem Schiff in einer Viertelstunde von Europa nach Asien fahren? Oder Tausenden von Anglern dabei zuschauen, wie sie Tag und Nacht im Trüben fischen? All das ist möglich in Istanbul, der Metropole am Bosporus.
Zugegeben, der Name Istanbul klingt für deutsche Ohren irgendwie schäbig. Er klingt nach „Kebabbude hinter dem Hauptbahnhof“. Aber in keinem anderen Fall ist der Name einer Stadt ein so schlechter Wegweiser. Denn Istanbul ist so schön wie Lissabon und dabei gleichzeitig so interessant wie Paris. Und vor allem: Istanbul ist groß! Mit ca. zwölf Millionen Einwohnern ist die Metropole am Bosporus gleich nach Moskau die bevölkerungsreichste Stadt Europas. Und Istanbul wächst immer weiter. In den Geschäftsvierteln schießen Hochhäuser aus Glas und Stahl wie Pilze aus dem Boden. Istanbul ist eine „Boomtown“, die sich, von Westeuropa weitgehend unbemerkt, zu riesenhaften Ausmaßen entwickelt hat. Sie zu ignorieren, wäre für die deutsche Wirtschaft, die sich in den letzten Jahren einseitig auf Ostasien konzentriert hat, fatal. Für Deutschland wird künftig hier die Musik spielen. Und nicht im Fernen Osten. Aber das ist gar nicht so schlimm: Die Deutschen verfügen in der Türkei immer noch über ein erhebliches Ansehen und werden dort überall gerne gesehen.
Brücke zwischen den Welten
Istanbul ist eine Brücke zwischen den Welten. Und das nicht nur im geographischen Sinne. Istanbul verbindet Europa mit Asien, Osteuropa mit Westeuropa, die Antike mit der Moderne und nicht zuletzt das Christentum mit dem Islam. Während der größte Teil der Stadt auf der europäischen Seite des Bosporus liegt, ist ein kleinerer Teil auf der asiatischen Seite angesiedelt. Zwei gigantische Hängebrücken und zahllose Fähren verbinden beide Ufer. In Istanbul treffen sich Händler, Touristen und “Schurken” aus Osteuropa und den zentralasiatischen Staaten. Überall sind „Russenmärkte“ entstanden. Gigantische Schiffsflotten aus der Ukraine und Russland kommen aus dem schwarzen Meer, das die Türken malerisch „Karadeniz“ nennen, durchqueren den Bosporus, das Marmarameer und nehmen dann Kurs auf die Ägäis. Wer in der Abenddämmerung an den Ufern Istanbuls steht und auf die schier endlose Armada aus grell beleuchteten Großraumfrachtschiffen blickt, glaubt sich in einen Zukunftsfilm versetzt.
Die vielen Gesichter Istanbuls
Istanbul hat viele Gesichter. Da sind zum Beispiel die verwinkelten und hügligen Straßen von Eminönü, das auf dem Boden des alten Konstantinopel steht. Oder die modernen Geschäftshäuser des europäischen Viertels Beyoglu. Beängstigend sind die Trabantenstädte im Umkreis Istanbuls: Wer auf dem Atatürk-Flughafen landet, kann schon aus dem Flugzeugfenster endlose Reihen von Wohntürmen sehen, die exakt in Reih und Glied stehen. Durch ihre militärische Strenge wirken sie wie eine Neuauflage des Janitscharen-Korps, der Eliteeinheit der osmanischen Sultane. Sie alle scheinen auf einen Angriffsbefehl zu warten. Nirgendwo spiegelt sich der Charakter des türkischen Volkes so deutlich wieder, wie in diesen diszipliniert angeordneten Heeren aus Häusern.
Gleich nach Mekka, Medina und Jerusalem: Istanbul
Ein Besucher von Istanbul mag es kaum glauben, aber am Rande der Stadt befindet sich in dem Viertel „Eyüp“ das nach Mekka, Medina und Jerusalem viertwichtigste Heiligtum des sunnitischen Islam; das Grab von „Abu Eyub al Ansari“, dem Fahnenträger des Propheten Mohammed. Unzählige Pilger kommen hierher, um zu beten. Der Legende nach ist Abu Eyub al Ansari bei der Belagerung Konstantinopels durch die Araber im siebten Jahrhundert gefallen. Nach der Eroberung der Stadt durch die Türken im Jahre 1453 wurde das Grab mit Hilfe von Orakeln und Wundern „wiederentdeckt“. Die Atmosphäre in Eyüp ist fromm, aber nicht fanatisch. „Ungläubige“ werden hier geduldet und dürfen bis an das Grab des Märtyrers vordringen.
Wie religiös Istanbul wirklich ist, sieht man wenn man traditionelle Viertel, wie zum Beispiel „Fatih“, besucht – hier dominieren Vollbartträger und verschleierte Frauen. Der Islam ist in Fatih allgegenwärtig. Aber trotzdem stößt man auch in diesem Stadtteil auf lässig gekleidete Jeansträgerinnen mit offenen Haaren, die offenbar bei niemandem Anstoß erregen. Religion scheint in Istanbul Privatsache zu sein. Deshalb ist auch keine Spur von Feindseligkeit andersgläubigen Ausländern gegenüber zu spüren. Ganz im Gegenteil, wer hier als Fremder nach dem Weg fragt, erhält überschwängliche Hilfe. Falls es in der Türkei einen radikalen und intoleranten Islamismus gibt, in Istanbul ist er jedenfalls nicht zu Hause.
Istanbul ist hipp
Abends in Istanbul auszugehen ist kein Problem: Man hat nur die Qual der Wahl und kann zwischen Hunderten von Restaurants wählen. Wer „abzappeln“ will, kann „hochangesagte“ Clubs aufsuchen, die manchmal auch auf im Bosporus schwimmenden Barkassen untergebracht sind. Im Sultanahmet-Viertel wartet auf erlebnishungrige Touristen ein Vergnügen der besonderen Art: Hier kann man auf alten islamischen Friedhöfen Tee trinken und dabei Wasserpfeife rauchen. Und das, obwohl hier hohe osmanische Würdenträger des 19. Jahrhunderts ihre letzte Ruhe gefunden haben. Nachts werden die Friedhöfe durch zahlreiche Lampen beleuchtet, so dass eine mystisch-magische Stimmung entsteht. Diese „Spezialcafés“ sind vor allem bei Studenten der Istanbuler Universität außerordentlich beliebt. Bei Apfel- und Erdbeertabak wird hier über Politik und Religion philosophiert.
Business-City
Abends am goldenen Horn: Hektisch verlassen gestresste Angestellte die Fähren, die im Minutentakt vom Ufer an- und ablegen. Das Tempo ist hier größer als an jedem anderen vergleichbaren Ort in Frankfurt oder Hamburg. Hier wird gut verdient und hart gearbeitet. Dennoch sind die Leute höflicher und es wird nicht so erbarmungslos gerempelt wie an manchen Orten in Deutschland.
Stadt der Angler
Wer den „Geist“ Istanbuls spüren will, sollte ein Phänomen beobachten, das wie kein anderes die Seele dieser Stadt verkörpert: Das sind die Angler am „Goldenen Horn“! Über diesen Seitenarm des Bosporus, an dem auch Istanbuls älteste Stadtviertel liegen, führen zwei Pontonbrücken, auf denen sich Tag und Nacht Hunderte von Anglern drängeln. Ein Wald von Angelrouten ragt über die Geländer der Brücken hinaus. Der arglose Fußgänger sieht sich hier der Gefahr herumfliegender Angelhaken und Bleigewichte ausgesetzt. Viele von den Anglern scheinen arbeitslos zu sein und einfach die Zeit totzuschlagen. Andere suchen hier nach Entspannung. Auf den Brücken gewinnt man den Eindruck, dass hier generell nach dem großen Glück gefischt wird: Alle warten auf den ganz großen Fang, erwischen aber dabei nur kleine Fische.
Weder Ost noch West
Es klingt abgegriffen, Istanbul als Stadt zwischen den Welten zu bezeichnen, aber genau das ist sie! Istanbul ist keine europäische, aber auch keine orientalische Stadt. Sie gehört weder zum Osten noch zum Westen. Istanbul vereinigt viele Kulturen und hat von allem etwas. Und vielleicht ist gerade das ist ihr Vorteil in einer globalisierten Welt. Deshalb ist Istanbul mit Sicherheit eines: Eine Stadt der Zukunft!
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