Reisebericht: Gregors Motorradreise um das Schwarze Meer

20.5.2006 – Istanbul

[ Karte ] Ich nähere mich Istanbul. Die Stadt ist endlos. Schon 100 km vor der eigentlichen Stadtgrenze sind alle Dörfer und Kleinstädte zu einer lückenlosen Megalopolis zusammengewuchert. Der Verkehr ist der Alptraum. Auf drei Fahrspuren drängeln sich bis zu 5 Kolonnen Autos nebeneinander, die Spuren werden nach Belieben und unberechenbar gewechselt, die Beschilderung ist schlecht, das Tempo wechselt zwischen viel zu schnell und Stillstand im Stau.

Obwohl rechts der Route das Marmarameer ist, sieht man es viel zu selten um bei der Navigation eine echte Hilfe zu sein. Ich orientiere mich notdürftig am Sonnenstand und versuche auf der Hauptstraße zu bleiben. Als mich ein Taxi mit hohem Tempo überholt, kommt mir die rettende Idee: Ich hänge mich einfach an das Taxi dran und schwimme im gleichen Tempo mit. Solange meine Richtung relativ zum Sonnenstand gleich bleibt, wird er mich schon ins Zentrum führen, denke ich. Und es funktioniert, fünfzig Kilometer fahre ich hinter ihm her. Als er schließlich in eine Seitenstraße abbiegt, bin ich bereits nahe dem Zentrum der Stadt.

Ich besorge mir beim ersten besten Luxushotel an der Lobby einen Stadtplan und navigiere mich damit auf eigene Faust weiter Richtung Eminönü, dem historischen Zentrum der Stadt, direkt am Goldenen Horn gelegen. Ich lande im Laleli Viertel, als Verkaufszentrum von Leder und Pelzwaren und wegen seiner billigen Hotels bekannt. Von hier ist es nur ein paar Minuten Fußmarsch zu den touristischen Sahnestückchen der Stadt, wie Hagia Sofia, Sultan Ahmet (Blaue) Moschee, Basar, Galata Brücke.

Das Hotel ist in der Tat preiswert, aber es gibt keinen Parkplatz für mein Mopped, zumindest keinen sicheren. Der Mann am Hotelempfang überlegt nicht lange, ruft 4 kräftige Kerle zu Hilfe, und schon steht mein schweres Ross in der Hotel-Lobby, sicher wie in Abrahams Schoß.

Endlich krieg ich spät abends in einem der Restaurants unter der Galata-Brücke mein wohlverdientes, kühles Bier.

Ich war mal in den 70er Jahren hier, da war diese Brücke eine touristisches Juwel. Sie war ein filigranes Gebilde, ein Meisterwerk aus Eisen und Holz, nicht auf Pfeilern gebaut, sondern auf Pontons schwimmend. Die Räume unter der Fahrbahn waren mit hunderten, teils sehr billigen Kneipen belegt. Nirgends war das alte Istanbul authentischer.

Die Stadt trug Trauer, als die Brücke nach einem mysteriösen Brand 1992 durch eine moderne, funktionelle aber schmucklose Betonkonstruktion ersetzt wurde. Bis 2002 hat es gedauert, bis man unter der Brücke wieder Restaurants eröffnete. Diese Restaurants sind allerdings zeitgemäß clean und cool, nur einen Schatten der Unterwelt der alten Brücke .

Ich sitze also bei meinem Bier in einem Restaurant unter der Brücke. Plötzlich gehen alle Lichter aus. Notstromaggregate laufen an, eins nach dem Anderen. Schummriges Notlicht wird eingeschaltet, aber die Musikbeschallung bleibt aus, eine faszinierende (relative) Stille umgibt mich, hier mitten in der City. Drüben auf Eminönü gibt es keinen Stromausfall, und so kommt mir der Lautsprecher auf dem Minarett, dessen Singsang zum Gebet ruft, so laut vor wie Pink Floyd im Olympiastadion.

Auf dem Heimweg zum Hotel komme ich an Straßenhändlern aus aller Welt vorbei. Zwei besonders attraktive Kerle aus Usbekistan und Kasachstan verkaufen Fellmützen und Schafspelzjacken. Wer so was jetzt, zum Beginn des Sommers braucht, ist mir nicht klar.

Spät am Abend geh ich noch mal ins Internet Cafe. Aus irgendeinem Grunde nehm ich die Taschenlampe mit. Das war eine gute Idee, denn nach 15 Minuten Surfen, peng, ist auch hier der Strom weg. Alles ist stockfinster, auch die Straßen. In den Restaurants und Geschäften brennen Kerzen. Aber nach wenigen Minuten gehen einzelne Lichter wieder an. Überall surren private Stromgeneratoren, es duftet nach Zweitaktmotor. Anscheinend ist man hier Stromausfälle gewohnt.

21.5.2006 – Istanbul

Leider ist heute, am Sonntag, der große Basar geschlossen, aber der ist sowieso nur eine Touristenfalle, tröste ich mich. Ich verbringe stattdessen eine Stunde bei der blauen Moschee, und knipse Leute.

Die Straßenhändler sind nervig. Überall lungern Schlepper rum und verwickeln mich ins Gespräch, woher kommst du, darf ich dir die Moschee zeigen, und hier ist mein Laden, da hab ich günstig schöne Teppiche… Ich hab mir angewöhnt, jeden Schlepperversuch im Keime zu ersticken: „Vergeuden Sie nicht Ihre Zeit, ich kaufe nichts“. Freundlich, aber laut und bestimmt.

Ich mache die übliche Touristenrunde, Sultan Ahmet Moschee, Hagia Sofia, Galata-Brücke, Galata-Turm. Bis mir die Füße wehtun und ich mich deshalb zum Mittagessen hinsetzten muss. Die einfachen Garküchen („Lokanta“) sind exzellent, z.B. Reis, Hähnchen, Gemüseeintopf, Wasser, alles zusammen für 3 EUR.

Am Nachmittag flaniere ich durch das Restaurantviertel „Tarihi Kumkapi Balik Restorantlari“. Hier darf kein Auto fahren oder parken, dafür haben Dutzende von Restaurants auf der Straße ihre Tische gedeckt. In diesen zwei, drei Gassen, insgesamt nur paar hundert Meter lang, können wohl einige tausend Gäste zugleich Platz finden. Überall gibt es zur Unterhaltung der Gäste Gesang und Musik auf traditionellen Instrumenten. Hier gefällt es mir. In einem Teehaus gesellt sich eine Gruppe von Zigeunermusikern, Tarik, Mustafa, Mümin und Mehmet, zu mir, spielen mir was auf der Oud vor, und diskutieren mit großer Sachkenntnis mit mir über alle Weltmusik von Jazz bis Flamenco.