14.10.2010
Lümmel Volk
Massenphänomen Antidemokratismus
Werner Pirker
Ein Leipziger Forscherteam, das im Auftrag der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung der Frage »Wie rechtsextrem sind die Deutschen?« nachging, meint Beunruhigendes festgestellt zu haben. So seien 34 Prozent der Deutschen der Ansicht, daß Ausländer nur zum Abkassieren in die Bundesrepublik kämen. Und 75 Prozent der Ostdeutschen würden sich für eine Einschränkung der Religionsfreiheit für Muslime einsetzen. Insgesamt konstatierte man ein »hohes antidemokratisches Potential in der Bevölkerung«. Den Politikern wurde geraten, vor diesen gefährlichen Tendenzen nicht die Augen zu verschließen.
Daß die Entdemokratisierung der Gesellschaft von der Politik, das heißt von den herrschenden Kräften, ausgehen könnte, kommt den Erforschern des ungesunden Volksempfindens erst gar nicht in den Sinn. Im Gegenteil. Kämen doch 90 Prozent der Bevölkerung nicht einmal auf die Idee, sich politisch einzubringen. Die Bürger hätten nicht das Gefühl, Einfluß auf die Regierung nehmen zu können. Die meisten Befragten wollten »nur gut regiert« werden, wird bekrittelt. Daß dies in der vielgerühmten repräsentativen Demokratie so vorgeschrieben ist, meint das Leipziger Team ignorieren zu können. Das macht die Regierten vielmehr auch noch für ihre mangelnden Möglichkeiten, Einfluß auf die Regierung zu nehmen, verantwortlich. Es ist nicht zuletzt diese von den Meinungseliten offen zum Ausdruck gebrachte Geringschätzung des »gemeinen Volkes«, welche die Begeisterung für die Demokratie, die sie meinen, zunehmend schwinden läßt.
Nun ist es aber in der Tat keineswegs so, daß die an der Basis mehrheitlich vertretenen Ansichten und Haltungen große Hoffnungen auf von unten ausgehende fortschrittliche Veränderungen zuließen. Der vom Neoliberalismus verschärfte Verdrängungswettbewerb prägt vielmehr auch das Massenbewußtsein. Die Ausländerfeindlichkeit ist die massenwirksamste Ideologie im Lande. Nutznießer der Ethnisierung des Sozialen sind trotz zur Schau gestellter Weltoffenheit aber ohne jeden Zweifel die Betreiber der Umverteilung von unten nach oben.
Spätestens mit dem Erscheinen des Sarrazin-Buches wurde aber auch deutlich, daß die privilegierten Kreise den Rassismus nicht einfach der Spontaneität der Massen überlassen, sondern ihn auch ganz direkt als ein Mittel der sozialen Ausgrenzung und Disziplinierung anzuwenden verstehen. Der Begriff Integration, der früher einmal eine eher freundliche Bedeutung hatte, hat inzwischen einen äußerst unfreundlichen Klang: »Wer sich nicht integriert, fliegt raus.« Daß »nur« 34 Prozent der Deutschen der Ansicht sind, Migranten seien zum Abkassieren gekommen, muß angesichts der massiven medialen »Aufdeckungs«kampagne über die Erschleichung von Sozialleistungen fast positiv überraschen. Auch die Islamfeindlichkeit ist keineswegs auf dem Mist des Volkes gewachsen, sondern von oben nach unten getragen worden.
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