01.10.10|
ABWANDERUNG
Gut ausgebildete Türken zieht es weg aus Deutschland
Viele in Deutschland ausgebildete Türken kehren zurück an den Bosporus, weil sie sich dort bessere Chancen ausrechnen.
FOTO: AFP
Genaue Statistiken zu Rückkehrern in die Türkei fehlen, doch die Tendenz ist klar
Von Boris Kálnoky
Architekt Durul Kusdemir sitzt im eleganten Konferenzraum der Iki Design Group (Istanbul) und erklärt mit leicht bayerischem Zungenschlag das Geheimnis einer türkischen Erfolgsgeschichte. In Deutschland sei das Potenzial für ehrgeizige Architekten einfach zu klein, sagt er. Wer hinaus will, hoch hinaus wie auf die Wolkenkratzer, deren Abbildungen den Raum schmücken, der „findet in der Türkei offene Türen und fast unbegrenzte Möglichkeiten. Das Spielfeld ist die ganze Welt, nicht das langsame, leicht provinzielle Deutschland“, so Kusdemir.
Der Unterschied sei, dass die Deutschen warten, bis jemand etwas möchte. Erst dann bewerben sie sich um den Auftrag. „Türkische Unternehmen dagegen laden Regierungen und Institutionen nach Istanbul ein, zeigen, was sie können, und fragen dann, ob man nicht etwas wünscht.“ Die größten türkischen Unternehmen, so sagt Kusdemir, bauen mittlerweile gar nicht in der Türkei, sondern in der ganzen Welt an Prestigeprojekten. Da will man als Architekt natürlich dabei sein.
Ein perfekt integrierter Erfolgstyp
Leute wie Kusdemir wären auch in Deutschland erfolgreich. Er hat in Deutschland studiert, ist dort aufgewachsen, war dort noch vor wenigen Jahren Partner in einem großen Architektenbüro. Er hat in Deutschland „einen Mehrwert bekommen“, sagt er. Diesen Mehrwert setzt er nun in der Türkei um. Vor drei Jahren kam er nach Istanbul. Er ist einer von vielen exzellent ausgebildeten, in Deutschland perfekt integrierten Erfolgstypen, die Deutschland dennoch den Rücken kehren, um in die türkische „Heimat“ zurückzukehren. Wer zurückbleibt, das sind oft die ungebildeten, nicht integrationswilligen Landsleute. Insofern fragt man sich in Deutschland: Was macht das Land falsch? Wie stellt man es an, diese guten Leute und damit die getätigten Investitionen in deren Ausbildung nicht zu verlieren?
Wie viele es sind, die an den Bosporus zurückkehren, darüber gibt es keine Statistiken. „Der Trend ist eindeutig steigend“, sagt Unternehmensberater Arda Sürel, selbst ein erfolgreicher Rückkehrer. Nach Angaben des deutschen Statistischen Bundesamts lag die Zahl der Rückkehrer im Jahr 2008 bei etwas über 34.800, leicht unter der Zahl im Jahr 2003 (37.000). Geändert hat sich das Verhältnis zwischen Zuzügen und Abgängen: 2003 kamen noch 50.000 Türken nach Deutschland, im Jahr 2008 waren es nur noch 26.600. Mehr türkische Staatsbürger ziehen also weg aus Deutschland, als herkommen.
In Gesprächen mit zahlreichen Rückkehrern lässt sich feststellen, dass die meisten von ihnen deutsche Staatsbürger sind. Die werden von der deutsch-türkischen Migrationsstatistik nicht erfasst – sind aber wohl ein großer Posten in der Zahl von jährlich insgesamt 175.000 deutschen Auswanderern. Als Deutschtürke mit deutschem Pass bekommt man in der Türkei eine sogenannte blaue Karte und kann arbeiten. Oft mit großem Erfolg. Besonders Facharbeiter sind gefragt, solche wie Fliesenleger Erkan Balkis: „Wir haben deutsche Tugenden, die hier fehlen – Genauigkeit, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, und als Fliesenlegermeister kann ich anders als die hiesigen Kollegen technisch zeichnen und rechnen.“ Das schlägt durch. Bald will er einen Lehrbetrieb aufmachen, nach deutschem Vorbild Lehrlinge ausbilden. Gute Facharbeiter fehlen auch in Deutschland, und es stellt sich die Frage, ob man sie wirklich an die Türkei verlieren muss.
„Irgendwann stößt man an eine Grenze“
Warum geht man als „perfekt integrierter“ Deutschtürke in die Türkei? Es ist der Markt, meint Kusdemir – und die meisten seiner Schicksalsgenossen sehen das ähnlich. Seit einigen Jahren ist die Türkei wirtschaftlich so stark, dass sie Deutschtürken echte Chancen bietet. Andererseits gibt es die Sehnsucht nach „Heimat“. Obwohl er sich in Deutschland nie als Außenseiter gefühlt habe, so sei er in der Türkei doch mehr zu Hause, meint Kusdemir. „Erst fühlte ich mich wie ein Chinese in Japan, alles irgendwie bekannt, aber doch fremd.“ Nach einem Jahr in der Türkei, so sagt er, habe es dann „klick“ gemacht, und er habe sich integriert gefühlt. Integration ist auch für die Rückkehr in die Heimat ein längerer Prozess.
Karrierechancen und Heimatsehnsucht – aber es gibt auch andere Motive. Manche fühlen sich in Deutschland benachteiligt. „Wenn man alles macht, was die Deutschen fordern, sich voll integriert, dann stößt man irgendwann an eine Grenze: Deutsch wird man in den Augen der Deutschen nie sein, und bei der Karriere steht man vor größeren Hürden als gleich qualifizierte Deutsche“, sagt Rückkehrerin Rukiye Caliskan. Sie hat eine eigene Firma gegründet, bietet Fachübersetzungen und Incentive-Reisen für Unternehmen an.
Nur etwa die Hälfte der befragten Rückkehrer schloss sich der Meinung an, Deutschland benachteilige kluge, „integrierte“ Deutschtürken. Bundesinnenminister Thomas de Maizière, gerade von einer Reise aus der Türkei zurückgekehrt, hält das für ein „Luxusproblem“, von dem er im Übrigen „zum ersten Mal höre“. Im Gegenteil würden „gute deutschtürkische Bewerber wohl eher bevorzugt“, sagte er WELT ONLINE. Doch mehr als zwölf Prozent deutschtürkischer Hochschulabgänger sind arbeitslos (drei bis viermal mehr als Deutsche), es dauert angeblich viermal länger für sie, einen Job zu finden. In einer Studie wurden gleichlautende Bewerbungen an Unternehmen verschickt, einmal mit türkischen, einmal mit deutschem Namen. Die „deutschen“ Bewerbungen kamen deutlich besser an.
Bleibt die Frage, ob es stimmt, dass Deutschland das Potenzial der „Guten“ wirklich verliert, in die man doch investiert hat. Das Beispiel von Durul Kusdemir zeigt, dass das nicht stimmen muss. „Wir arbeiten gerade an einem Großprojekt mit der Gruppe Emaar Dubai, das derzeit größte Bauprojekt in der Türkei“, sagt er. Da gab es 30 externe Consulting-Firmen für alles von Fassadenbau bis Abfallmanagement und Aufzüge, die meisten Berater Amerikaner, Kanadier, Engländer. „Ich habe bewirkt, dass sie alle gegen deutsche Berater ausgetauscht wurden. Die sind viel kreativer, flexibler, arbeiten von vornherein preisbewusst. Wir arbeiten jetzt nach Deutscher Industrienorm (DIN). Und ich kann mit den Deutschen einfach besser. Da stimmt die Chemie – wo Deutsche und Türken sich treffen, da entsteht ein Magnetismus, auch wenn manche das nicht sehen wollen.“
Außerdem: Viele Rückkehrer arbeiten bei den 2000 deutschen Firmen, die in der Türkei aktiv sind. Mit anderen Worten, Erfolg für die Rückkehrer ist auch ein Erfolg für Deutschland, irgendwie.
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