Thilo Sarrazin
Foto: Internet
Sarrazin bleibt unbeugsam – ist aber vorsichtiger
Dienstag, 7. September 2010 07:42 – Von Joachim Fahrun
Die Berliner SPD will Thilo Sarrazin loswerden und hat am Montag ein entsprechendes Parteiordnungsverfahren beschlossen. Zuvor verteidigte Berlins Ex-Finanzsenator vehement seine Thesen, obwohl er mittlerweile unter Polizeischutz steht.
Seine Anwälte hatten Thilo Sarrazin gut beraten. Der Noch-Bundesbank-Vorstand hütete seine Zunge. Ob er denn auf einen Anruf warte von Bundespräsident Christian Wulff, der über den Abberufungsantrag seiner Vorstandskollegen entscheiden muss, fragten Journalisten den umstrittenen Buchautor am Montag auf der Friedrichstraße. „Ich warte darauf, dass die Ampel grün wird“, sprach Sarrazin und eilte dann, seinen schwarzen Rucksack auf dem Rücken, zu seinem um die Ecke wartenden Auto. Die Marschroute war klar: Zwar stellte sich Sarrazin auch gestern wieder auf dem Podium eines Demografiekongresses der Diskussion. Aber zum heiklen Thema der drohenden Rauswürfe aus dem Vorstand der Bundesbank und aus der SPD sagte er kein Wort.
Dennoch hat sich Sarrazins Leben verändert. Der umstrittene Buchautor steht inzwischen unter Polizeischutz. Gleich vier Beamte des Landeskriminalamtes schirmten den früheren Finanzsenator ab. Zu seinem Interview mit der Morgenpost vor zehn Tagen in einem Kreuzberger Kebab-Restaurant, als er über spezielle jüdische Gene sprach und damit aus der Sicht auch wohlmeinender Beobachter den Boden der Seriosität endgültig verließ, war Sarrazin mutterseelenallein erschienen. Jetzt eskortiert ein Polizeiwagen seine Limousine.
Nachdem es in einschlägigen Foren im Internet Drohungen gegen Sarrazin gegeben hatte, entschied das Bundeskriminalamt, Sarrazin schützen zu lassen. Gestern Morgen waren vier Beamte des Landeskriminalamts aufgeboten. Sie wurden kurz hellhörig, als ein weißer Kleinlaster die kleine Prozession mit Sarrazin, Aufpassern und Journalisten an der Behrenstraße passierte. „Nazi“, schallte es aus dem Führerhaus. Sarrazin blickte stoisch nach vorne. „Ich fühle mich gut aufgehoben“, sagte er, ehe er sich von seinen Begleitern zum Berliner Hauptbahnhof fahren ließ, wo er den Zug nach Frankfurt bestieg, dem Sitz seines Arbeitgebers, der Bundesbank.
Den Morgen hatte er genutzt, um in einer Diskussion im Forum des Deutschen Beamtenbundes wieder einmal die Integrationsdebatte zu befeuern. Dabei sprachen Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, der Integrationsexperte Klaus Bade, die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen, und der Präsident des Informationstechnik-Verbandes Bitkom, August-Wilhelm Scheer, gar nicht direkt über sein Buch. Aber die Masse der Fotografen und Kamerateams war wohl vor allem deshalb gekommen, um wieder einen harten Spruch von Sarrazin aufzufangen.
Fehlende Fachkräfte
Vor 250 Menschen im Saal und den Zuhörern des Deutschlandradios in den Wohnstuben kreist die Debatte um die Nöte der Hightech-Industrie mit den fehlenden Fachkräften und kriecht weiter hin zu der Erkenntnis, dass es auch Deutsche gebe, die nicht integriert seien. Sarrazin, wie üblich in grauem Jackett und roter Krawatte, schaut abwesend. Die Moderatorin spricht ihn als Letzten an. Es gebe doch Firmen, die stark auf Mitarbeiter mit Migrationshintergrund setzten, was er dazu sage? „Toll“ sei das, antwortet der Ökonom, „Integration durch Arbeit ist das, was wir brauchen“. Aber die Bilder von den guten Firmen will Sarrazin nicht stehen lassen. Wenn die Leute da nicht funktionierten, seien sie auch ganz schnell wieder raus. Gerade in Unternehmen gebe es den „Prozess des Forderns“, für den er in dieser Frage steht. „Knallhart“, sei das, „da gibt es keinen Rabatt“. Rita Süssmuth merkt an, es gehe nicht um „knallhart, sondern um Wertschätzung für Menschen“. Die Moderatorin will von Sarrazin wissen, ob er in der Bundesbank auch für anonymisierte Bewerbungen sei, um Diskriminierung von Migranten wegen ihrer Namen und Herkunft zu vermeiden. „Lassen Sie mal die Bundesbank“, herrscht Sarrazin die Moderatorin an. Auf seinen Arbeitgeber ist er offensichtlich nicht gut zu sprechen.
Dann geht es um Quoten oder Selbstverpflichtungen von Behörden oder Firmen, Migranten einzustellen. Sarrazin selbst bringt hier sein Leib- und Magenthema in die Diskussion ein: Dass es nämlich speziell um die Gruppe der muslimischen Zuwanderer schlecht bestellt sei, keineswegs um alle. „Vietnamesen, Inder, Polen, Russen, Spanier, Griechen brauchen keine Quoten“, sagt Sarrazin. „Die sind bei uns in der zweiten Generation voll integriert.“ Bei Türken und Marokkanern sei das anders. „Die Frage ist doch, wieso brauchen die einen nach ihrer Meinung Quoten für das, was die anderen ohne Quoten schaffen.“ Diese Frage müsse man mal diskutieren.
Das tut man dann auch. Der Migrationsforscher Bade bestätigt die von Sarrazin angesprochenen Unterschiede im Integrationsniveau einzelner Gruppen. Das liege an der Herkunft der früheren Gastarbeiter aus der Türkei. „Der Weg vom anatolischen Schafhirten, dessen Enkel Abitur macht, ist erheblich größer als der eines deutschen Facharbeiters, dessen Enkel Fabrikdirektor wird“, sagt Bade. Linke-Politikerin Dagdelen spricht von „strukturellem Rassismus“ und „sozialer Ausgrenzung“. „Der Gastarbeiterstopp war vor 37 Jahren“, kontert Sarrazin. In dieser Zeit könne man Deutsch lernen.
Die Runde diskutiert die Frage, ob nun mehr Sanktionen gegen Migranten gebraucht würden, die sich der Integration verweigerten. Sie sei eher für Anreize, sagt Rita Süssmuth, die vor zehn Jahren als CDU-Politikerin unter der rot-grünen Bundesregierung der Kommission vorsaß, die erstmals Grundsätze für eine gesteuerte Zuwanderung nach Deutschland erarbeitet hatte. Aber: „Wer sich dauerhaft verweigert, der muss das fühlen“, sagt Süssmuth. Bestimmte Sanktionen seien gerechtfertigt.
Die Linke-Politikerin Dagdelen verweist darauf, dass es bereits gesetzlich festgelegte Strafen für diejenigen gebe, die etwa nicht an Integrations- oder Sprachkursen teilnehmen, auch Ehepartner dürften nur nachziehen, wenn sie Deutschkenntnisse nachweisen und keine Sozialleistungen beantragten.
Deutscher Sozialstaat als Zuckerbrot
Schließlich fragt die Moderatorin, ob Sarrazin glaube, dass auch mehr „Zuckerbrot“ für die Zuwanderer der Integration förderlich sein könnte. Zuckerbrot gebe es bereits, antwortet der Ex-Finanzsenator: „das gewaltige Angebot des deutschen Bildungs- und Sozialstaates“. Man müsse aber sehen, wie welche Gruppen dieses Angebot nutzten. Man müsse fragen, warum türkische Mütter nicht mit Lehrern sprechen könnten, weil sie kein Deutsch sprächen, warum türkische Kinder nicht zu Geburtstagen deutscher Kinder gingen und warum türkische Väter gegenüber Lehrerinnen häufiger unverschämt würden, weil sie keine Frauen akzeptierten. Das seien Fragen, die an vielen deutschen Schulen gestellt würden. Das einzige Mal an diesem Vormittag applaudiert das Publikum im Saal.
Das Schlusswort erhält nicht Sarrazin, sondern Sevim Dagdelen von der Linkspartei. „Sie wollen, dass die Migranten abgeschoben werden“, warf sie Sarrazin vor, welcher vehement den Kopf schüttelt. Sie sei für ein „solidarisches Miteinander“ in der Gesellschaft, schließt sie mit einer der beliebtesten Floskeln der Integrationsdebatte. Sarrazin steht als Erster auf, schüttelt allen Mitdiskutanten artig die Hand und schiebt sich mit dem Pulk aus Kameras aus dem Saal, hinein in sein neues Leben unter Polizeischutz.
Quelle:
aber-vorsichtiger.html