Deutsch-Türke in Sydney

Lizenz zum Backen
Von Henryk M. Broder

Deutsche Brötchen und Brezeln sind der Renner in Sydney: Sieben Filialen seiner „Lüneburger German Bakery“ konnte der Einwanderer Ahmet Yaltirakli in wenigen Jahren eröffnen. Jetzt weitet er sein Geschäft aus – und bietet Bratwürste an.

Noch vor ein paar Jahren hatte Ahmet Yaltirakli „keine Ahnung, wie man Brot backt“, heute kann er allein am Geruch erkennen, ob ein „Oberländer“ oder ein „Bauernvesper“ vor ihm auf dem Tisch liegt. Backwaren sind sein Leben. Tagsüber managt er seine sieben Bäckereien, nachts träumt er von Brötchen und Bretzeln, Apfeltaschen und Schokohörnchen.

Yaltirakli ist ein Bürger mit Migrationshintergrund. Sehr viel Migrationshintergrund. Er wurde in Istanbul geboren, ist in Köln aufgewachsen, seit acht Jahren lebt er in Sydney. Der Herkunft nach ist er ein Türke, dem Pass nach ein Deutscher; in seinem Herzen aber ein Australier. „Das ist ein großartiges Land, ich möchte nirgendwo sonst leben.“ Dennoch fliegt er jedes Jahr nach Deutschland und in die Türkei. Heimweh nach dem Bosporus und dem Rhein? „Dafür habe ich keine Zeit. Ich besuche nur Freunde und Verwandte.“ Und Geschäftspartner.

Yaltirakli ist 47, sieht aber jünger aus. Es war elf, als er mit seiner Mutter und drei Schwestern Ende 1974 nach Köln kam. Da war der Vater schon sechs Jahre bei Klöckner Humboldt-Deutz, einer der vielen „Gastarbeiter“, die in den sechziger Jahren angeworben wurden, um den Deutschen beim Wiederaufbau zu helfen. Das Wirtschaftswunder war für alle da.

Ahmet lernte Deutsch, machte die Hauptschule und sollte dann ein Handwerk lernen. Elektrotechnik wäre das beste, meinten die Eltern. Die Mutter putzte bei einem türkischen Juwelier, der in der Kölner Südstadt eine Werkstatt hatte. Und der sagte zu ihr eines Tages: „Schick mal deinen Sohn zu mir.“

Reisefieber wegen Joachim Fuchsberger

Auch Ahmet fand Goldschmied viel schicker als Elektriker. Leider war der türkische Juwelier kein Meister und durfte nicht ausbilden. Deswegen konnte Ahmet keine Prüfung ablegen, aber er war fleißig und hatte nach vier Jahren genug gespart, um sich selbständig zu machen. 1985 richtete er bei sich daheim eine Reparaturwerkstatt ein, ein Jahr später übernahm er einen Laden in der Weidengasse am Eigelstein, einer heruntergekommenen Gegend, die von türkischen Zuwanderern saniert wurde.

Und da würde er heute noch stehen und Trauringe und anderen Schmuck anbieten, wenn er nicht an einem Sonntagabend daheim auf dem Sofa gelegen und ferngesehen hätte. Eine Reportage über Australien, von und mit Joachim Fuchsberger. Drei Tage später saß Ahmet Yaltirakli mit Frau und Sohn in einer Maschine der Qantas.

Fünf Wochen reisten sie durch Australien, und als sie wieder heimflogen, wussten sie, dass es geklickt hatte. Dreimal noch kamen sie als Touristen, 1998, 2000 und 2001, dann beschlossen sie, Australier zu werden, permanent residents mit Arbeitserlaubnis. Am 16. August 2002 kamen sie in Sydney an, im Gepäck auch einen Koffer mit Ringen und Schmuck als Startkapital.

Misserfolg mit Eisdiele

Ahmet lief von Geschäft zu Geschäft und bot seine Kollektion an. „Ich hatte es mir leichter vorgestellt.“ Nach ein paar Monaten gab er auf und schickte den Schmuck nach Köln zurück. Dann vermittelte ihm ein türkischer Freund eine Franchise-Lizenz bei „Australian Homemade“ für eine Eisdiele. „Das ging völlig in die Hose.“

Bevor die Ersparnisse aufgebraucht waren, fiel Ahmet auf, was allen Zuwanderern nach einer Weile auffällt: dass es in Australien „kein ordentliches Brot“ gibt. Er flog nach Deutschland, sprach mit Herstellern und Exporteuren, schaute sich bei Kamps und Merzenich um, und als er dann wieder im Flugzeug nach Sydney saß, war ihm klar, wie es gehen müsste.

Zwei Tage vor Weihnachten 2005 machte er seine erste Bäckerei auf, im Queen Victoria Building, einer 100 Jahre alten Shopping Mall in bester Innenstadtlage. Die „Lüneburger German Bakery“ bot ein Dutzend in Australien unbekannter Brotsorten an, dazu Croissants und Kuchen. Auf den Namen „Lüneburger“ kam er, weil es etwas sein sollte, das „deutsch klingt und einen Umlaut hat“.

Mohn wird am Zoll zum Problem

Vom ersten Tag an wurde ihm alles, was er buk, aus den Händen gerissen. Dabei wurden die Sachen nur vor Ort „aufgetaut oder aufgebacken“, denn die Ware kam tiefgekühlt aus Deutschland. Worauf es dabei ankam, war das Timing. Die Ware musste rechtzeitig geordert werden, die Container durften nicht zu lange im Hafen stehen und der Zoll wollte über die Zutaten bescheid wissen. „Bei Mohn machten sie Probleme, Leinsamen ging gar nicht, Hefe war okay.“ Es war Ahmets dritter Versuch, sich eine Existenz aufzubauen. Diesmal musste es klappen.

Fünf Jahre später betreibt Ahmet sieben „Lüneburger“-Stationen in Sydney, beschäftigt 70 Mitarbeiter, darunter auch seine Frau, und ist dabei, zwei neue Filialen aufzumachen – eine achte in Sydney und eine erste in Melbourne. Er will nicht nur expandieren, sondern auch sein Angebot ausbauen. In der neuen Location am King’s Cross wird es tagsüber Backwaren und abends Bratwürste geben.

Ahmet arbeitet sieben Tage in der Woche von morgens bis Mitternacht; wenn er entspannen will, geht er allein essen, in die Bar Reggio oder das La Spaggia. Obwohl er Moslem ist, nimmt er es mit den Speiseregeln nicht sehr genau, das Filetto Gorgonzola schmeckt mit einem Glas Sauvignon Blanc am besten. „Religion ist Privatsache in Australien, niemand will wissen, wie dein Gott heißt.“ Nur manchmal wird er gefragt, ob er ein Deutscher wäre. Von wegen „Lüneburger“. Dann antwortet Ahmet Yaltirakli: „Yes, but with some Turkish background!“

Quelle: Spiegel