Die Türkei gehört in die EU
Von Cornelie Sonntag-Wolgast 4. August 2010
Die ehemalige Staatssekretärin im Bundesinnenministerium fordert Deutschland auf, sich mutig für einen Beitritt des moslemisch geprägten Staates starkzumachen
„Grundsätzlich“ solle sich die Türkei „Richtung Europa orientieren“, versicherte Bundesaußenminister Westerwelle kürzlich in Istanbul seinem Amtskollegen. Gleich darauf der Dämpfer: „Müsste die Frage heute entschieden werden, wäre die Türkei nicht beitrittsfähig.“ Ein Schritt voran, einer zurück. Diese Haltung ist typisch für die deutsche Regierung. Zaghaft, zaudernd. Dabei wäre sie gut beraten, sich mutig für den EU-Beitritt der Türkei starkzumachen. Aus strategischer, aber auch aus innenpolitischer Sicht.
Strategisch geht es darum, die Türkei zum Brückenkopf eines selbstbewussten, toleranten Europa in Richtung Nahost zu machen. Als Vermittler in einer konfliktbeladenen Region. Als Beispiel dafür, dass Islam und Demokratie miteinander vereinbar sind. Und damit als Modell für moslemisch geprägte Staaten. Zugegeben, so weit ist die Türkei noch längst nicht. Aber man fördert diesen Prozess eher, wenn die Türkei spürt, dass wichtige EU-Mitglieder wie Deutschland und Frankreich den Beitritt wünschen, statt ihn immer wieder infrage zu stellen.
Seit Jahren bringt Bundskanzlerin Angela Merkel als Alternative die „privilegierte Partnerschaft“ ins Spiel – ein Begriff, den die Türken als Abspeisung einordnen. Sie gewinnen zunehmend den Eindruck, dass die EU ein „Christenklub“ sei, der sich gegen moslemische Staaten abschotten wolle. So wächst in dem Land die Gefahr einer wachsenden Islamisierung und eines übersteigerten Nationalismus.
Ein kurzfristiger Beitritt steht ohnehin nicht an! Das Nato-Mitglied Türkei sucht seit 1963 die Annäherung; seit elf Jahren stellt die EU ihr die Aufnahme in Aussicht; seit 2005 wird verhandelt. Die Kriterien für eine Mitgliedschaft sind streng, die Defizite – sieht man von der günstigen Wirtschaftsentwicklung ab – nicht zu leugnen. Das gilt für die Menschenrechtspolitik, den ungelösten Kurdenkonflikt, die schleppende Aussöhnung mit Armenien. Doch darf man sachte auf Schwächen etwa in osteuropäischen Mitgliedstaaten hinweisen: Korruptionsskandale, ineffiziente Verwaltungen, massive Diskriminierung von Minderheiten wie den Roma …? Vergessen wir aber vor allem nicht die innenpolitische Dimension des Themas! Türkische Einwanderer stellen hierzulande die größte Migrantengruppe. Wohl auch die problematischste! Doch daraus sollte man nicht die falschen Schlüsse ziehen.
CSU-Politiker bringen seit Längerem zum EU-Beitritt der Türkei einen Volksentscheid ins Spiel. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Denn die konservativen Bedenkenträger rechnen insgeheim mit einem Nein der Bevölkerung. Damit liegen sie vermutlich richtig. Das hängt mit dem Bild der Deutschen von ihren türkischen Mitbürgern zusammen. Wahrgenommen in der breiten Öffentlichkeit werden vor allem die Zustände in manchen Stadtvierteln, gewalttätige Jugendliche aus autoritären Familien, Schulabbrecher und Großmütter, die nach 30 Jahren Aufenthalt nur ein paar Brocken Deutsch sprechen. Das liegt – nicht nur – an den Versäumnissen deutscher Integrationspolitik in der Vergangenheit. Und es rührt daher, dass die erste Gastarbeiter-Generation aus unterentwickelten Regionen Anatoliens einwanderte und in Traditionen länger verwurzelt blieb als heutzutage moderne Bewohner von Istanbul und Izmir.
Aber es gibt bei uns auch die „anderen“ Türken: Aufsteiger in Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, erfolgreiche Filmemacher, kluge und mutige Autorinnen, die sich bald kritisch, bald ironisch mit türkischen Eigenarten auseinandersetzen. Sie alle treibt die Beitrittsfrage um. Und wenn gerade gut ausgebildete junge Leute türkischer Abstammung unser Land verlassen, sollte uns das ins Grübeln bringen. Mehr Anerkennung würde sie vielleicht zum Hierbleiben bewegen, und bei den „Problemgruppen“ würde es die Integrationsbereitschaft steigern.
Zu solchen Signalen gehören positive Aussagen zum EU-Beitritt wie übrigens auch eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts mit dem Ziel, die starre Vermeidung der Mehrstaatigkeit zu lockern, die gerade viele Türken davon abhält, den deutschen Pass zu erwerben. Der scheidende Hamburger Bürgermeister Ole von Beust befürwortet übrigens eine solche Lösung. Seinem designierten Nachfolger Ahlhaus stünde eine klare Aussage zu diesem Themenfeld gut zu Gesicht. Kurz: Es ist an der Zeit, dass von Deutschland ein Impuls für eine beitrittsfreundliche Verhandlungsführung ausgeht. Sonst wird die „Privilegierte Partnerschaft“ zum privilegierten Verweis aufs europapolitische Abstellgleis.
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