Aufruf zum Kritischen Dialog

1915 – 1918 sind in Kleinasien Hunderttausende von Türken und Armeniern, die Jahrhunderte lang friedlich zusammengelebt hatten, in einer Katastrophe untergegangen.

Der Deutsche Bundestag hat um Juni 2005 in seinem Beschluss (Drucksache 15/5689) von einer fast vollständigen Vernichtung der Armenier in Anatolien und von planmässigen Massakern gesprochen.

Wir teilen und respektieren den Schmerz, den jeder Mensch angesichts der unschuldigen Opfer jedweder Seite empfinden muss. Der Respekt vor den Opfern gebietet uns, für die weitestgehende Aufklärung der damaligen Vorgänge einzutreten.

Inzwischen wurde nachgewiesen, dass der deutsche Theologe Johannes Lepsius, der vom Bundestag mit Anerkennung erwähnt worden war, die von ihm publizierten deutschen Akten systematisch gefälscht hatte. Zudem liegen uns zahlreiche armenische, amerikanische und britische Dokumente vor, die die in dem Beschluss des Deutschen Bundestages gegebene Darstellung der Ereignisse in Frage stellen.

Strittig ist nicht die Frage, ob Menschen umgekommen sind, sondern der Verlauf und damit die Bewertung der Ereignisse, die zum Tod von Hunderttausenden unschuldigen Menschen geführt haben.

Lassen Sie uns diese Ereignisse in einem öffentlichen Dialog erörtern, bei der ausschließlich nachprüfbare Argumente gelten dürfen. Eine nüchterne und kritische Auseinander­setzung ist die beste Methode, um zur Aufklärung, zu einem besseren Miteinander und zu einer Versöhnung beizutragen.

Unter einer kritischen Auseinandersetzung verstehen wir eine Erörterung, bei der ausnahmslos alle Meinungen, Positionen und Argumente ohne Ansehen der Person auf den Prüfstand gestellt werden. Und zwar auf einen Prüfstand, wo nur diejenigen Aussagen bestehen können, die auf nachprüfbaren Dokumenten beruhen.

Wir sprechen von einem Dialog, weil wir eine kritische Auseinandersetzung anstreben, die von Türken, Armeniern, Deutschen und allen anderen interessierten Menschen gemeinsam geführt wird. Schließlich sind wir nicht nur Deutsche, Türken, Armenier, sondern vor allem Menschen, und die Frage, um die es geht, ist eine der dunkelsten Kapitel der türkisch-armenischen Geschichte.

Das gemeinsame Ziel sollte sein, die Versöhnung und das friedliche Zusammenleben der Völker zu erreichen. Gibt es dazu einen besseren Weg als kritische Aufklärung im Dialog?

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